Magie und Schicksal - 2
nicht anlügen. Und du kannst toben und zetern, so viel du willst, aber es wird dir nichts nutzen. Du wirst mich nicht los. Ich bin immer noch hier, Lia. Und ich werde hierbleiben, so wie ich es dir versprochen habe.«
Er stapft davon, aber er kommt nicht weit. Mein Stolz fällt in sich zusammen. Ich lasse die Decke fallen und renne ihm nach, schlinge die Arme um ihn, bis er stehen bleibt und sich zu mir umdreht.
Es gibt so vieles, was ich ihm sagen will, aber Worte sind nicht genug, und außerdem bin zu schwach, um sie auszusprechen, nach allem, was passiert ist. Alles, was Dimitri gesagt hat, ergibt einen Sinn, bis auf eine Sache, und die lässt mir keine Ruhe.
»Du sagtest, die Seelen hätten einen Köder ausgeworfen, um mich benutzen zu können.« Ich hebe die Arme zum Himmel. »Was für ein Köder könnte das bloß sein?«
Er zuckt mit den Schultern. »Erschöpfung? Resignation? Es ist kein Geheimnis, Lia, dass du müde und verzweifelt bist. Es ist nicht zu übersehen. Niemand macht
dir einen Vorwurf. Wir alle wären zu Tode erschöpft, wenn wir durchgemacht hätten, was du durchmachen musstest. Du hast so viel verloren und musstest so viel erdulden.«
Ich schaue ihm in die Augen und klammere mich hoffnungsvoll an meine nächsten Worte. »Aber ich habe nicht aufgehört zu kämpfen! Keine einzige Sekunde lang! Du siehst mich doch jeden Tag vor dir, wie ich meinem möglichen Ende entgegengehe!« Ich höre die Verzweiflung in meiner Stimme und ich hasse mich dafür.
Er zieht mich an sich. »Keiner bezweifelt, dass du kämpfst, so gut du kannst. Aber im Schlaf, in den Stunden, in denen du – endlich! – loslassen kannst, ist es doch durchaus denkbar, dass ein kleiner Teil von dir sich nach Erlösung sehnt. Dass dieser Teil den Kampf beenden will, wie auch immer.«
Seine Worte rühren an eine Wahrheit, die ich bislang immer verdrängt habe.
»Ich weiß nicht …« Meine Stimme zittert, und ich zwinge mich zur Ruhe, ehe ich ihm in die Augen schaue. »Aber was kann ich tun, außer mich selbst und alle anderen, so gut es geht, vor den Seelen zu schützen? Ich kann nicht immer wach bleiben. Wir haben noch vier Tagesreisen vor uns, bis wir London erreichen, und das auch nur, wenn wir uns beeilen. Und danach müssen wir Vorbereitungen für unsere Reise nach Avebury treffen. Was soll ich denn die ganze Zeit machen?«
Er greift nach meiner Hand. »Dich mir anvertrauen.«
Ich will protestieren, aber er lässt mich nicht zu Wort kommen.
»Jeder muss irgendwem vertrauen, Lia. Von Zeit zu Zeit jedenfalls. Auch du.« Verblüfft spüre ich, dass mir die Tränen in die Augen treten. »Vertrau mir. Ich bleibe bei dir, wenn du schläfst, und ich wecke dich, wenn mir irgendetwas merkwürdig vorkommt.« Er seufzt. »Der Plan ist nicht wasserdicht. Ich kann dich nicht in den Anderswelten beschützen, wenn ich dort nicht bei dir bin. Aber ich kann an deiner Seite wachen und in dieser Welt auf dich aufpassen, dich wecken, wenn es sein muss.«
Ich sage ihm nicht, dass sein Plan mehr als löchrig ist. Stattdessen schlucke ich meine Furcht herunter, mich in jemandes Hände zu begeben. Jemandem grenzenloses Vertrauen entgegenzubringen. Ich gebe mich seiner Umarmung hin. Ganz und gar.
Denn er hat recht. Es ist meine einzige Chance.
Am folgenden Tag reiten wir durch die Wälder und über die Felder Englands. Und am Tag danach. Und auch am Tag nach diesem Tag. Ich weiß nicht mehr, wo wir uns befinden. Die Felder, Wälder, die Straßen und Ortschaften, all das verschwimmt zu einem undeutlichen Schemen, während meine körperliche Kraft, aufgezehrt in ruhelosen, traumschweren Nächten, allmählich schwindet.
Meine Bitte um Verzeihung beantwortet Brigid mit einer herzlichen Umarmung. Ihre mitfühlende Haltung beschämt mich, denn ich habe es nicht vermocht, Sonia zu
vergeben, und mit einem Mal wünschte ich, ich könnte zu jenem Augenblick auf Altus zurückkehren, als Luisa, Sonia und ich auf der Klippe standen und Sonia mich um Vergebung bat. Ich wünschte, ich könnte dorthin zurückkehren und den Augenblick noch einmal erleben. Wenn es möglich wäre, dann würde ich mir wünschen, dass ich Sonia so begegnen würde, wie Brigid mir begegnet.
Gareth hält nachts Wache, während Dimitri meinen Schlaf behütet. Ich habe ein schlechtes Gewissen deswegen, aber Gareths Lächeln hat nichts von seiner Herzlichkeit verloren, obwohl er sich nur kurze Momente der Ruhe gönnen kann, wenn wir tagsüber rasten. Er und Dimitri behandeln
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