Magie
Seine Darbietung erregte eine Menge weiblicher Aufmerksamkeit, wie Tessia bemerkte. Kendaria zwinkerte ihr zu.
»Ich hätte nichts dagegen, diesen Körper zu sezieren«, murmelte sie. »Ich frage mich, ob seine Gelenke anders wären als die einer gewöhnlichen Leiche. Sie sind so biegsam.«
»Kendaria!«, schalt Avaria. »Sei nicht so makaber!«
Aber Tessia konnte nicht umhin, den Akrobaten mit anderen Augen zu sehen. Sie beobachtete, wie die Rippen sich gegen die Haut des Mannes drückten, und sie fühlte sich daran erinnert, wie das Innere einer Brusthöhle aussah - wo das Herz lag und wo die schwammartige Masse der Lunge. Sie hatte so viel gelernt und hoffte, dass Kendaria sie zu weiteren Obduktionen mitnehmen würde, bevor Dakon Imardin verließ.
Aber Avaria war fest entschlossen, weitere makabere Gespräche zu unterbinden, und schon bald gesellten sich Darya und Zakia zu ihnen, und der übliche Klatsch folgte. Die Zeit verging langsam. Während Tessia höflich zuhörte, bemerkte sie, dass der gewaltige Saal sich weiter mit Menschen füllte. Der Lärm der Stimmen nahm entsprechend zu, da die Menschen lauter sprechen mussten, um sich über dem Getöse Gehör zu verschaffen. Der Akrobat verschwand, und in der Nähe begann eine Frau zu singen, begleitet von einem Mann, der die Saiten eines seltsamen, kastenförmigen Instruments zupfte, das auf einem seiner Knie lag. Avarias Freundinnen begannen mit einer genauen Erörterung der Kleidung, des Schmucks und der romantischen Verwicklungen anderer Frauen. Tessia lauschte einem Gespräch einiger Männer in der Nähe.
»... Heiler hat ihm gesagt, er solle aufhören, aber er trinkt weiter, und das wird nur dazu führen, dass er...«
»... Sarin sagte, wir sollten unsere Preise erhöhen, aber ich fürchte, das wird...«
»... Mandryn, denke ich, aber...«
Der Name ihres Dorfes erweckte ihre Aufmerksamkeit, aber die folgende Bemerkung ging im Gelächter ihrer Gefährtinnen unter. Sie rückte ein wenig weiter nach rechts, näher an den Sprecher und seine Zuhörer heran.
»... tut mir leid um... Lehen an der Grenze. Würde selbst nicht dort leben wollen.«
Die Antwort war unhörbar.
»Oh, natürlich. Irgendjemand muss es tun. Anderenfalls würden diese blutdurstigen Sachakaner uns noch näher kommen, nicht wahr? Trotzdem, vielleicht werden sie das bald tun, wenn sich das, was wir gehört haben, als richtig erweist...«
Plötzlich wurde die Stimme des Mannes leiser, sodass sie ihn nicht länger verstehen konnte. Dann bemerkte Tessia, dass Bewegung in die Menge um sie herum gekommen war. Köpfe hatten sich in eine bestimmte Richtung gedreht. Auf der Suche nach dem Ursprung des Geschehens spähte sie über Avarias Schulter hinweg.
Der König kam auf sie zu. Er blieb stehen, um mit jemandem zu sprechen, dann lächelte er und ging weiter, den Blick auf Avaria und die anderen Frauen geheftet.
Tessia beugte sich zu ihrer Gastgeberin vor.
»Lady Avaria«, murmelte sie. »Schaut einmal nach links.«
Die Frau blickte müßig in diese Richtung, dann drehte sie sich wieder zu Tessia um. »Der König?«
»Ja. Er kommt in unsere Richtung.«
»Das musste er irgendwann tun«, meinte Avaria achselzuckend. »Wo wir doch eine attraktive junge Meisterschülerin bei uns haben, die darauf wartet, ihn kennenzulernen.«
Tessias Herz machte einen Satz. »Ich bin nicht...«, begann sie, brach dann jedoch wieder ab. Der König war jetzt so nahe, dass er sie hören konnte. Er würde nicht meinetwegen herkommen, sagte sie sich. Avaria macht sich über mich lustig.
Er trat in den Kreis der Frauen. Für jede von ihnen hatte er eine Frage, und häufig erkundigte er sich nach der Gesundheit oder den Handelsgeschäften eines Verwandten. Als er Tessia erreichte, wurde sein Lächeln breiter.
»Und Ihr müsst Meisterschülerin Tessia sein, Lord Dakons neuer Schützling.«
»Ja, Euer Majestät«, antwortete sie, wobei sie sich des Umstands bewusst war, dass die anderen Frauen sich abgewandt hatten und zu zweit oder zu dritt davongingen. Selbst Avaria. Hatte der König irgendein Zeichen gegeben, dass er unter vier Augen mit ihr sprechen wollte?
Er beobachtete sie mit wachem Blick. Ich hoffe, ich sage nichts Falsches oder tue irgendetwas, das gegen das Protokoll verstößt. »Ihr seid ein Naturtalent, ist das richtig?«
Sie nickte. »Ja.«
»Es muss ein wenig beängstigend sein und Euch vielleicht unglücklich erscheinen, Eure Gabe zu einer solchen Zeit und an einem solchen Ort zu
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