Magische Insel
ich für immer in diesem Weiß bleiben müssen?«
»Für eine lange Zeit. Eine isolierte Persönlichkeit stirbt im Lauf der Zeit – oder sie verliert den Verstand und stirbt später. Die Weißen Magier sprechen nicht darüber, aber es dauert mehrere Jahre. Einmal ist es mir gelungen, einen zurückzubringen. Danach ist er mir aus dem Weg gegangen.« Justen nahm noch einen Schluck Tee und aß einen Löffel Brei.
»Hält es die Weiße ab, wenn man sie früh genug erkennt und darauf beharrt, man selbst zu sein?«
Justen runzelte die Stirn. »Das hängt vom Magier ab. Bei jemandem wie Antonin musst du der Versuchung von Anfang an widerstehen. Wenn du ihm auch nur die kleinste Gelegenheit gibst, verändert er beliebig deine Gedanken – wie ein fahrender Sänger seine Lieder. Bei einem weniger entschlossenen – oder weniger erfahrenen – Meister kannst du aus der Isolation noch ausbrechen, wenn man dich durch einen Trick hineingelockt hat. Wenn das geschieht, wendet sich die Energie im negativen Sinn gegen den, der den Zauber gewirkt hat. Das ist mir widerfahren. Du warst so darauf versessen, die Antworten zu bekommen und daher so leicht zu beeinflussen, dass ich nicht sah, wie viel Stärke in dir steckte.«
Ich wusste nicht, ob ich mich über die Anerkennung meiner Stärke freuen oder über meine Einfältigkeit ärgern sollte.
»Wille und Verstehen sind die Schlüssel, Lerris. Nicht nur um die Ordnung zu meistern, sondern um alles zu meistern.« Justen lehnte sich zurück, nachdem er den Wildpastetenbrei aufgegessen hatte.
»Ich nehme an, dass wir heute Nachmittag nicht nach Weevett weiterreiten.«
»Du brächst nach zwei Meilen zusammen, und ich könnte nicht einmal Rosenfuß besteigen. Hä
Hältst du es für eine gute Idee, weiterzureiten?«
Nein, so gesehen wirklich nicht.
»Außerdem musst du lesen.« Er hielt Die Basis der Ordnung hoch. »Wenn ich dich in praktischer Anwendung unterweise, könnte mich das für immer zum Greis machen – oder dich das Leben kosten.«
Ich griff nach dem Buch.
»Erst wäschst du alles ab. Das ist das mindeste, was du mir schuldest.«
Ich stapfte wieder zum Bach und fragte mich, warum ich diesem Grauen Magier traute. Jedes Mal wenn ich an die gleißende Weiße dachte, in die er mich geführt hatte, lief es mir eiskalt über den Rücken. Aber ich wusste irgendwie, dass er mich nicht absichtlich in diese Hölle gelockt hatte. Und er hatte einen größeren Preis als ich bezahlt – zum zweiten Mal.
Trotzdem waren mir seine Beweggründe immer noch verborgen.
Es kamen auch keine Antworten, als ich die Becher im Bach auswusch. Das Wasser war so kalt, dass mich die Hände bis auf die Knochen schmerzten.
Justen streichelte die Schnauze von Rosenfuß, als ich zurückkam. Er gab beiden Pferden etwas zu fressen, das er auf der offenen Hand hinhielt. Da ich in diesem Moment nicht mit ihm reden wollte, ging ich stumm in die Hütte.
Dort lag das Buch auf meiner zusammengerollten Decke. Ich stellte die nassen Becher auf die Bank, damit sie trockneten. Dann legte ich noch ein Holzscheit aufs Feuer, nahm das Buch und setzte mich auf die Bank, auf der Justen gesessen hatte.
Mit beträchtlichem Widerwillen schlug ich die erste Seite auf.
Ordnung ist Leben. Chaos ist Tod. Das ist eine Tatsache, keine Glaubensfrage. Jede lebende Kreatur besteht aus geordneten Teilen, die zusammenarbeiten müssen. Wenn Chaos einbricht …
Großartig. Das wusste ich bereits, allerdings nicht in dieser präzisen Formulierung.
Ordnung erstreckt sich bis in die winzigsten Fragmente der Welt. Indem der Ordnungs-Meister die kleinsten geordneten Teile beeinflusst, um eine neue und geordnete Form zu schaffen, kann er zum Beispiel bestimmen, wo Land ist und wo nicht, wo Regen fällt und wo nicht …
… Im Gegensatz dazu besteht das Prinzip des Chaos einfach darin, ein geordnetes Element der Welt von einem anderen zu trennen … gezielte Zerstörung …
Nach knapp zwei Seiten hatte ich Kopfschmerzen und schloss das Buch. Was hatte die Philosophie, die ich gerade gelesen hatte, mit der Flucht aus der Weiße zu tun, in die Justen mich versuchsweise hineingelockt hatte?
Ich schloss die Augen und dachte angestrengt nach.
Erstens: Als ich nicht klar gedacht hatte – in Frven oder als Justen mir Antworten angeboten hatte –, war ich gegen die Versuchung nicht gefeit. Und Versuchung bedeutete, dass ich einem anderen gegenüber meinen Verstand geöffnet hatte. Wer auch immer die Gedanken eines anderen
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