Magische Insel
und sprach mit müder Stimme.
Ich holte frisches Wasser aus dem Bach. Er kochte aus mehreren Päckchen einen Brei, der merkwürdig aussah, aber so gut wie Maispudding schmeckte. Dazu tranken wir Senthow-Tee.
Justen trieb mich nicht zur Eile an. Das zeigte mir an, dass der Magier immer noch ziemlich erschöpft war.
Ich rollte meine dicke Decke zusammen. Selbst auf dem harten Lehmboden der Hütte hatte ich viel besser darauf geschlafen als im kratzigen Heu im Stall der Herberge. Da sah ich aus dem Augenwinkel ein Buch aus Justens Satteltasche hervorragen. Der schwarze Ledereinband war stark abgenutzt. Ich spürte keine Aura – weder von Ordnung noch von Unordnung –, nur dass das Leder und die Pergamentblätter sehr, sehr alt waren. Ich fragte mich, welch ein Buch der Graue Magier wohl so lange bei sich trug und ob es Zaubersprüche oder alte Heilrezepte enthielt.
Justen fing meinen Blick auf und zog das Buch heraus. »Hier. Du kannst es lesen, wenn du willst.«
»Was ist es?«
»Der Titel lautet: Die Basis der Ordnung. Alle Schwarzen Magier benutzen es.«
Ich war erstaunt. »Ist es so wichtig?«
Justen lächelte. »Nur falls du die Absicht hegst, ein Ordnungs-Meister zu werden.«
»Ist es ein altes Buch?« Ich bewahrte nur mühsam die Fassung.
»Mein Vater hat es mir gegeben, als ich von daheim fortging.«
»Woher stammt Ihr, Justen?«
Er winkte ab. »Über diesen Ort möchte ich nicht sprechen. Soll ich dir das Buch borgen?«
»Nein … im Moment nicht … ich glaube nicht …«
»Jederzeit …« Er verstaute es wieder und schloss die Augen. In diesem Augenblick wirkte er sehr viel älter als Mitte Dreißig, wie ich anfangs angenommen hatte.
Ich blickte auf die Asche im Kamin. Das Alter seines Buchs, das weiße Haar nach seinem Kampf gegen die Dämonen in Frven waren Zeichen, dass Justen viel älter war, als er aussah – und viel bedeutender.
Die Basis der Ordnung? Was hatte mein Vater mir da gegeben? Stammte Justen aus Recluce oder aus einer candarischen Familie von Ordnungs-Meistern?
Ich grübelte über diese Fragen nach, während ich meine Decke mit einem Lederriemen verschnürte und neben den Tornister stellte. Dann ging ich hinaus, um nach Gairloch und Rosenfuß zu sehen und das Wetter zu begutachten.
Es war kalt. Am Himmel hingen gestaltlose dunkle Wolken. Der Wind blies aus Norden. Die spärlichen braunen Halme knackten unter den Sohlen.
Die beiden Pferde hatten das Gras hinter dem Fettbeerengebüsch bis auf die Wurzeln abgefressen und dann einige der weniger dürren Blätter des Busches. Dann waren sie zu einem Grasstück in der Nähe des Bachs gewandert, wo sie jetzt standen.
Gairloch warf den Kopf hoch und ging zum Bach, um zu trinken, ehe er weiter fraß. Ich kehrte in die Hütte zurück.
Justen öffnete die Augen. »Bist du bereit?«
»Zum Aufbruch?«
»Nein, dazu bin ich noch nicht fähig. Ich meinte, ob du bereit bist für die Lektion, wie du dich vor Magiern wie Antonin oder Dämonen wie Perditis schützen kannst.«
»Von mir aus.« Ich hoffte nur, es würde nicht zu langweilig werden. Aber selbst wenn ich es todlangweilig fand, war die Alternative noch schlimmer.
Justen setzte sich auf und lehnte sich an die Wand, ohne sich darum zu kümmern, dass seine feine graue Leinentunika schmutzig wurde. »Man braucht nur Übung. Du musst dich darauf konzentrieren, du selbst zu sein. Wenn nötig, sag etwas wie: ›Ich bin ich. Ich bin ich.‹ Immer wieder.«
»Warum?«
Justen seufzte. »Wenn jemand in deinen Verstand eindringen will, versucht er, dir dein Selbst wegzunehmen, deinen Sinn, ein einzigartiges Individuum zu sein. Dagegen musst du kämpfen. Dieser Kampf hat zwei Schritte. Erstens musst du erkennen, dass man dich in Versuchung führt, und zweitens musst du dich behaupten.«
»Das verstehe ich nicht ganz. Was soll das bedeuten?«
»Ich muss es dir wohl zeigen«, sagte Justen mit gepresster Stimme und blickte mich an. »Willst du wirklich nicht die wahren Antworten auf die Fragen wissen, Lerris? Warum die Meister dich gezwungen haben, fortzugehen, ohne dir etwas zu erklären? Bist du es nicht leid, immer nur mit Ausreden vertröstet zu werden und alles selbst herausfinden zu müssen?«
»Selbstverständlich! Habe ich das nicht oft genug erklärt?«
»Dann schau mich an! Such nach den Antworten.« Seine Stimme bebte, aber er bot mir etwas an, das mir bisher niemand hatte anbieten wollen.
Ich schaute also Justen an. Irgendwie schien die Entfernung zwischen uns kürzer zu
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