Magische Insel
sie unbrauchbar waren, flankierten das Tor, dessen Flügel aus eisenbeschlagenen grauen Bohlen gefertigt war. Eine Steinbrücke überspannte das Tor und verband die beiden Türme. War das Tor geschlossen, steckte es in einer Nische und war von allen Seiten von Gemäuer umgeben, so dass es wahrscheinlich sehr schwierig, wenn nicht unmöglich war, es zu rammen. Doch jeder Angreifer hätte sich eine weniger wehrhafte Stelle in der niedrigen Stadtmauer ausgesucht.
Vor der Mauer befand sich ein steinernes Wachhaus, vor dem zwei Posten standen. Unmittelbar vor mir rumpelte mitten auf der Straße ein Bauernkarren zum Tor; er wurde von einem Gaul gezogen, der ein Bruder von Felshars Schimmel hätte sein können.
Einer der Wachposten winkte die Frau mit strähnigen Haaren und einer Hakennase, die den Wagen lenkte, an den Straßenrand. »Auf die Seite, mach Platz! Die Straße ist für alle da, nicht nur für dich!«
Mit einem Ruck an den langen Zügeln lenkte sie den Karren an den Rand.
»Halt!« rief mir der andere Posten zu. Ziemlich gelangweilt musterte er meinen dunklen Umhang und Gairloch.
»Wo hast du das Pferd her, Junge?«
»Von Felshar, Offizier.« Warum sollte ich den Mann verärgern? Außerdem war er größer als ich und konnte wahrscheinlich – trotz des Bauchs – trefflich mit dem Schwert umgehen, auf dessen Griff seine Rechte ruhte.
»Kannst du das irgendwie beweisen?«
»Ich habe eine Quittung mit Felshars Stempel.« Dann berührte ich den Stab. Er fühlte sich nur lauwarm an.
Beim Anblick des Stabs wurden seine Augen ebenso groß wie die von Cerclas. Dann musterte er mein Gesicht.
»Du bist noch sehr jung …«
»Ich weiß. Das sagen mir alle seit dem Frühjahr.« Ich zog das dünne Pergament aus dem Gürtel und entfaltete es. »Hier, wenn du sehen willst …«
Seine Miene und die Wut hinter seinen Augen warnten mich.
Peng … peng …
»… aauuu … Dieb!«
Irgendwie war es mir gelungen, das Pergament zurück in den Gürtel zu stecken und den Stab so schnell aus der Halterung zu reißen, dass ich sein Schwert beiseite schlagen konnte, ehe er richtig ausgeholt hatte. Mein zweiter Schlag – eigentlich eher ein Tätscheln – streifte seine Wange und hinterließ trotzdem sofort ein Brandmal.
Gairloch wartete nicht darauf, dass ich ihm die Fersen in die Seiten drückte, sondern trabte sofort los. Gleich darauf galoppierte er durch das immer noch offene Stadttor. Gairloch war so schnell, dass der zweite Posten es nicht rechtzeitig hatte schließen können.
Gairlochs Hufe klapperten auf dem Pflaster. Ich ließ die Zügel los und hielt mich mit der rechten Hand in der Mähne fest. Mit der Linken umklammerte ich den Stab, um niemanden damit zu treffen.
»Vorsicht!« brüllte ich.
»Das Pferd ist durchgegangen!«
»Dieb!«
Mehrere Bettler sprangen in den schlammigen Graben neben der Straße. Gairloch überholte geschickt einen langsam dahinrumpelnden Wagen, der von einem Ackergaul gezogen wurde. Der hob nicht einmal den Kopf, als wir vorbeistürmten. Ich hätte sein verstaubtes Kummet berühren können, so nahe waren wir ihm.
Wahrscheinlich schützte uns der Wagen vor einem Pfeil in den Rücken. Außerdem waren viele Fußgänger unterwegs, die in Freistadt einkaufen wollten. Im Nu waren wir außer Schussweite einer gewöhnlichen Armbrust, falls überhaupt Armbrustschützen auf den Zinnen der Tortürme postiert waren.
Das Klappern von Gairlochs Hufen wich einem gedämpften Trommeln, als er mich auf der harten Lehmstraße dahintrug. In und um Freistadt gab es offenbar nur wenig gepflasterte Straßen. Wir galoppierten an einer Kreuzung vorbei. Die Querstraße war belebter als unsere, doch wir stürmten weiter in Richtung Candar.
Bald darauf zügelte ich Gairloch, hielt mich jedoch auf der Straßenmitte, die – trotz des starken Regens der vergangenen Nacht – erstaunlich fest war. Gairloch wechselte die Gangart und ging jetzt im Schritt.
»Gutes Pferd.« Ich tätschelte dankbar seine Schulter.
Gairloch schnaubte zufrieden.
»Ich habe die Kerle auch nicht gemocht.«
Dann blickte ich zurück zu dem dunklen Punkt, zu dem das Stadttor geschrumpft war. Dort tat sich nichts. Keine Pferde verfolgten uns. Der Strom der Menschen und Karren strebte immer noch in die Stadt.
Da merkte ich, dass ich immer noch den Stab in der Hand hielt. Das Holz hatte sich abgekühlt. Der Lederstreifen, mit dem ich den Stab festgebunden hatte, war zerrissen. Ich sicherte ihn mit einem anderen Riemen.
Dann blickte
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