Magnolia Steel - Städing, S: Magnolia Steel
sie.
Jeppe machte eine aufreizend lange Pause. »Es ist nichts für schwache Nerven«, sagte er dann im leisen Ton eines Verschwörers. Magnolia musste ihre Ohren extra weit aufsperren, um ihn richtig zu verstehen.
»Sie lassen dich gegen Ungeheuer kämpfen. Ungeheuer, schrecklicher, als du sie dir vorstellen kannst. Oder hast du schon einmal vom Blutschink gehört oder von der schwarzen Annis, einer Menschenfresserin mit Fingern aus Eisen?«
Magnolia schüttelte stumm den Kopf.
»Siehst du«, fuhr Jeppe genüsslich fort, »und anschließend, wenn dir das Blut vor Entsetzen in den Adern gefroren ist, wartet die Feuertaufe auf dich. Das alles verzehrende, alles verschlingende Feuer.«
Magnolia schluckte.
»Zu guter Letzt«, Jeppes Stimme wurde zu einem Wispern, »solltest du dann noch am Leben sein, reißen sie dir sämtliche Haare aus– einzeln!!« Das letzte Wort brüllte er so laut, dass Magnolia meinte, ihr Trommelfell würde platzen. Sie sprang auf und marschierte erhobenen Hauptes aus dem Zimmer.
»Ich glaube dir kein Wort, Kobold«, rief sie über die Schulter zurück.
Eine glatte Lüge, die Woche bis zu ihrer Aufnahme in den Kreis der Hexen war eine einzige Qual. Beständig kreisten Magnolias Gedanken um Monster und Feuersbrünste. In der Schule glänzte sie deshalb vor allem durch körperliche Anwesenheit und es war ein Glück, dass die Lehrer in diesen Tagen besonders nachsichtig mit ihren Schülern waren.
Vierundzwanzigstes Kapitel
Auf dem Blocksberg
Der Abend der Hexenweihe kam schneller heran, als es Magnolia lieb war. Man hatte sie auf den 31. Oktober gelegt, also auf Halloween. Sehr witzig, wenn sich unter die richtigen Hexen Hunderte falsche mischen würden.
Den ganzen Tag über war Magnolia so kribbelig wie an Weihnachten und ihrem Geburtstag zusammen. Sie meinte, jeden Moment zu platzen, wenn es nicht bald losging. Es war bereits Abend und der Mantel, auf den sie so sehnsüchtig wartete, war bis jetzt nicht geliefert worden. Womöglich hatte man sie vergessen?
»Wann kommt er denn endlich?«, quengelte Magnolia nun schon zum neunzigsten Mal, kurz davor, endgültig zu verzweifeln.
Linette zuckte gleichgültig die Schultern und verschwand im roten Zimmer, wo die Frau des Postdirektors wartete, um sich aus der Hand lesen zu lassen.
Unruhig tigerte Magnolia durch das Haus und drückte sich wohl zum zweihundertsten Mal die Nase am dunklen Küchenfenster platt.
Nichts. Nichts zu hören, nichts zu sehen. Es war zum Verrücktwerden.
Endlich klappte die Tür zum roten Zimmer und die alte Schabracke verabschiedete sich. Tante Linette ging in die Küche und kramte wortlos Töpfchen und Tiegel aus dem Schrank.
»Du kannst mir helfen, Ringelblumensalbe herzustellen«, sagte sie »wenn du selber nichts Gescheites mit dir anzufangen weißt.Verrühre in diesem Mörser Ringelblumenöl und Wollfett, während ich das Bienenwachs schmelze. Du wirst sehen, die Zeit vergeht schneller, wenn man etwas zu tun hat.«
Gehorsam setzte Magnolia sich an den Küchentisch und vermischte die beiden Zutaten.
»Irgendetwas stimmt da nicht«, murmelte sie grimmig. »Du hast damals deinen Mantel bestimmt schon am Vormittag bekommen und heute werden alle anderen ihre Mäntel auch schon am Vormittag bekommen haben. Nur Magnolia nicht, sie hat ihren Mantel nicht am Vormittag bekommen, sie hat ihren Mantel nicht am Nachmittag bekommen, sie hat ihren Mantel auch nicht am Abend bekommen. Sie bekommt ihren Mantel überhaupt nicht mehr, denn sie wurde einfach vergessen.«
»Er ist da«, sagte Tante Linette ganz unvermutet und nahm das geschmolzene Bienenwachs vom Herd.
»Wa.. was, wo denn? Ich habe überhaupt nichts gehört.« Verdutzt sprang Magnolia auf und stürzte in die Diele.
Fehlanzeige, nirgendwo war auch nur der Saum von einem Mantel zu sehen. »Du musst dich geirrt haben«, mit hängendem Kopf trottete sie zurück in die Küche.
»Im Garten, du Kröte«, lachte Tante Linette und seit Langem schob sich wieder ihr Wackelzahn über die Oberlippe.
Magnolia sauste hinaus in den Garten. Es war stockdunkel, aber auf der Gartenbank lag etwas. Dieses Etwas war nicht größer als eine Streichholzschachtel und sprühte rosa Funken.
»Nimm es mit ins Haus«, forderte Tante Linette sie auf.
»Du meinst, ich kann es anfassen? Es hört ja nicht auf zu funkeln.«
Tante Linette nickte und so trug Magnolia das winzige Paket auf ihrer flachen Hand in die Küche, dabei pieksten die kleinen Funken wie winzige
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