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Magnolienschlaf - Roman

Magnolienschlaf - Roman

Titel: Magnolienschlaf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Baronsky
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…«
    Jelisaweta nickt, lässt den Hörer sinken. Sie starrt auf die kleine Terrasse hinaus. In den buckligen Natursteinplatten mit
     den Moospolsterfugen stehen Pfützen. Immer wenn ein Tropfen von der Dachrinne hineinfällt, zittert die Wasseroberfläche für
     kurze Zeit.
     
    Sie merkt, dass er sie wieder ansieht, er hat sie seit dem Nachmittag angesehen, wie gestern auch, und am Tag davor. Immer
     wenn sie sich zu ihm umdreht, wendet er das Gesicht ab und sucht nach etwas, auf das er seinen Blick richten kann. Er wirkt
     fast hilflos. Als die mittlere Schicht sich verabschiedet, bleiben sie allein im Dämmerlicht des Stationszimmers. Er greift
     nach der Thermoskanne, hält sie mit fragendem Blick über Jelisawetas Tasse. Sie nickt und sieht den schmalen Goldreif, der
     an seinem Finger aufblitzt, während er ihr Kaffee eingießt. Wieder sein Blick, diesmal fester, verbindlicher. Wie Hitze fließt
     er durch ihren Körper. Seine Augen sind tiefgrün, nie hat sie so dichte Wimpern bei einem Mann gesehen, fast beneidet sie
     ihn darum, denkt an die Wimperntusche, die Mama in den Mülleimer geworfen hat, seither benutzt Jelisaweta nur heimlich welche.
    Wie schwebend greift sie nach ihrer Tasse, sieht ausdem Fenster auf den schlafenden Klinikhof. Er tritt neben sie, nah, näher als nötig. Sie kann seinen Körper spüren, beinahe
     so, als berühre er sie.
    »Ich … muss noch ein paar Sachen auffüllen.« Ihre Stimme ist belegt. Sie schickt ihm ein scheues Lächeln, nimmt den Schlüssel
     zum Magazin aus der Schublade und verlässt das Stationszimmer. Die Kollegin vom Frühdienst hat am Morgen erst alles aufgefüllt.
     Wahllos greift sie nach einem Paket Kompressen, als sie schon den sicheren Klang seiner Schritte hinter sich hört und das
     Geräusch des Schlosses, das sachte einrastet. Sie fühlt seine Hand an ihrer Taille, seinen Atem in ihrer Halsbeuge, ihr wird
     heißkalt; mit dem Blick hält sie sich an den grauen Streben des wackligen Metallregals fest, auf dem die Abdecktücher lagern.
     Er streift mit den Lippen ihren Nacken, ihr Ohr, nur die Wärme seiner Hände sagt ihr, dass er sich ihren Brüsten nähert. Ganz
     allmählich drängt er seinen Körper gegen ihren Rücken, hält mit seinen Bewegungen die Zeit an und dann, irgendwann, dreht
     er sie zu sich, längst hat sie die Augen geschlossen, sie fühlt seine Lippen und öffnet ihren Mund, nimmt ihn auf, alles an
     ihr ist weich und froh und festlich.
    Wortlos schiebt er sie auf einen Stapel frischer Handtuchrollen, die steifen Kanten der Stoffballen drücken in ihren Rücken.
     Es ist stickig in der fensterlosen Kammer. Dann ist Sergej neben ihr, presst sich gegen sie und öffnet die Knöpfe ihres Kittels.
     Sie versucht zu denken, einen klaren Kopf zu bewahren und nicht zu vergessen, was sie sich vorgenommen hat. Geh nicht zu weit,
     er ist schließlich verheiratet, doch die Erregung macht dasDenken wattig, und alle Vorsätze zerlaufen unter seinen Händen …
     
    Jelisaweta leert das klebrige Glas. Draußen ist es finster, die Konturen der Tannen sind im Schwarz verschwunden. Bevor sie
     zu Bett geht, nimmt sie einen Plastikbeutel mit Reisfleisch aus dem Gefrierfach. Den Inhalt wird sie morgen in den Mülleimer
     kippen wie schon seit Tagen, weil die Alte nicht isst. Sie fragt sich, wie man in diesem Land mit solchen alten Frauen verfährt,
     ob man sie in eine Klinik einweisen und an den Tropf hängen oder einfach verhungern lassen wird. Jelisaweta schüttelt den
     Kopf. Man kann nicht verhungern in Deutschland. Aber das ist beinahe gleichgültig, weil es so oder so bedeutet, dass ihr Auftrag
     endet. Dass sie nach Hause fahren und nach Arbeit suchen wird. Nach Hause, zu Mama. Die Rauten der Tapete verschwimmen vor
     ihren Augen, sie reißt ein Stück Küchenpapier von der Rolle und schnäuzt sich. Jelisaweta weiß, dass sie den Arzt informieren
     sollte, doch irgendetwas sagt ihr, dass sie diese Sache allein regeln muss.

Wieder dröhnen Fernsehgeräusche durch die Heizungsschächte. Ab und an lässt ein vorbeifahrender Wagen einen Lichtstreifen
     über die Gardine ziehen. Wilhelmine reibt mit dem Handrücken über die Bettdecke, hin und her, sie hat eine Falte des Bezugs
     zwischen Zeige- und Mittelfinger geklemmt und spürt daran entlang. Schwebt. Friert. Hört sie wieder singen, sie kann das Lied
     schonbeinahe auswendig, obwohl sie keine Ahnung hat, was die fremden Worte bedeuten. Elsemarie lacht wie ein Suppenhuhn, je später
     es wird,

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