Magnus Jonson 02 - Wut
Verwicklungen führen. Was ist, wenn es wirklich eine Gruppe Isländer gibt, die Óskar und Lister umbringen wollten? Was ist, wenn sie in diesem Moment schon den nächsten im Visier haben? Wir haben die Pflicht, diese Möglichkeit zu überprüfen.«
»Halt mir keine Vorträge über meine Pflicht!«, schrie der Polizeichef ihn an. »Baldur hat richtig gehandelt. Er hat dich angewiesen, weiterzuforschen, aber unauffällig. Du hast dich ihm widersetzt. Du bist von diesem Fall entbunden. Ich möchte, dass du noch heute zurück an die Akademie gehst. Und …« Er zögerte. »Wenn sich das alles geklärt hat, werde ich überprüfen, ob wir dich in diesem Land überhaupt noch brauchen.«
Magnus schluckte. »Ich verstehe«, sagte er. »Es tut mir leid.«
»Das reicht hier nicht, Magnús.« Der Polizeichef starrte ihn
wütend an. Magnus verstand das als Aufforderung, den Raum zu verlassen.
In der Bäckerei standen drei Kunden an, als Harpa sah, dass ihr Vater hereinkam. Sofort begann ihr Herz zu pochen. Was er wohl herausgefunden hatte? War Björn wirklich nach London und Frankreich gereist, wie Frikkis polnische Freundin vermutet hatte?
Sie warf ihm einen kurzen Blick zu. Er lächelte aufmunternd und stellte sich hinten an. Das war doch bestimmt ein gutes Zeichen, oder?
Die drei Kunden vor ihm schienen ewig zu brauchen. Dann kam eine Frau herein, und Einar ließ sie vor. Zum Glück bediente Dísa ebenfalls.
Schließlich stand Einar an der Theke.
»Und?«, fragte Harpa mit großen Augen.
»Ich nehme ein kleina «, sagte Einar, und ein Lächeln huschte über sein eisernes Gesicht.
»Ich meine, hast du wegen Björn nachgefragt?«
»Ja. Er war letzten Dienstag mit Gústi auf der Kría unterwegs. Am Sonntagvormittag war er mit Siggi im Hafen von Grundarfjörður und hat ihm geholfen, die neue Navigationssoftware zu installieren.«
Harpa wurde überflutet von Erleichterung. »Danke, Papa. Und es besteht kein Zweifel?«
»Nein. Ich habe mit dem Hafenmeister und mit Gústi gesprochen. Siggi konnte ich nicht erreichen, aber der Hafenmeister klang zuversichtlich. Offenbar hatte Björn am Sonntag Besuch von der Polizei.«
»Wundert mich nicht«, sagte Harpa. »Vielen herzlichen Dank, Papa.«
Einar beugte sich vor, damit Dísa nicht zuhören konnte. »Dann muss man also nicht zur Polizei gehen, oder?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht doch?«
»Ach komm, Harpa! Dann brockst du dir den Ärger nur selbst ein.«
»Na gut«, sagte sie und nickte.
»Braves Mädchen. Bis später!«
»Schön, dich auch mal lachen zu sehen«, sagte Dísa, als die Tür hinter Einar ins Schloss fiel.
»Ja«, sagte Harpa. Vor Erleichterung war ihr ganz schwindelig. Wie hatte sie Björn nur jemals verdächtigen können?
»War das dein Vater?«
»Ja.«
»Gut. Er hat sein kleina nämlich nicht bezahlt.«
»Oh, Entschuldigung«, sagte Harpa. »Ich übernehme das. Wir waren ein bisschen abgelenkt.«
»Das hab ich gemerkt.«
Harpa lächelte in sich hinein. Ihr Vater hatte es für sie geschafft. Wieder einmal. Für die Außenwelt, beispielsweise für seine Schiffscrew, war er ein gefühlloser, jähzorniger Kerl. Doch sie hatte immer gewusst, dass er ein guter Mensch war. Und es war tröstlich zu wissen, dass er mit seiner Härte und Kraft auf ihrer Seite stand.
Er würde alles für sie tun, ebenso wie für seine Frau und den kleinen Markús.
Doch kurz darauf verflüchtigte sich Harpas Hochgefühl, wurde von bohrenden Sorgen beiseite geschoben. Sicher war es gut, dass Björn nicht Teil einer Verschwörung zur Ermordung von Óskar und Julian Lister war, doch das galt noch lange nicht für Sindri. Schon bedauerte Harpa das Versprechen gegenüber ihrem Vater. Er hatte recht, es ging sie nichts an, doch wenn Sindri schon zwei Menschen umgebracht hatte, konnte er auch drei töten. Sie musste der Polizei von ihrem Verdacht erzählen.
Allerdings war es nicht mehr als das: ein Verdacht. Was wäre, wenn die Polizei alle Beteiligten überprüfte und herausfand, dass Sindri völlig unschuldig war, dann aber beschloss, erneut Fragen
nach Gabríel Örn zu stellen? Dann hätte Harpa nichts erreicht und würde trotzdem ins Gefängnis wandern.
Doch was, wenn sie recht hätte? Und vielleicht gehörte sie ja tatsächlich hinter Gitter. Schließlich hatte sie ein Verbrechen begangen; dafür sollte sie büßen.
Was Harpa ihrem Vater auch versprochen hatte, sie wusste, was richtig war. Zur Polizei zu gehen. Aber zuerst wollte sie mit Björn sprechen. Da sie
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