Magnus Jonson 02 - Wut
war.
Sindri war naiv, wenn er glaubte, jetzt sei die Zeit der Revolution. Irgendwann würde es so weit sein, es konnte noch Jahre dauern, doch irgendwann würde die bürgerliche Gesellschaft unter dem
Gewicht der Widersprüche des Kapitalismus zusammenbrechen. Und wenn es so weit war, wäre Ísak bereit. In den nächsten Jahren würde er einen Elitekader von Revolutionären aufbauen, eine wahre Avantgarde des Proletariats, die Menschen wie Björn in eine bessere Welt führen könnte.
Irgendwann würde es so weit sein. Ísak war noch jung. Er konnte warten.
Alles lief gut, solange niemand den Mund aufmachte. Er meinte, sich in dieser Hinsicht auf Björn und Sindri verlassen zu können. Nur nicht auf Harpa. Harpa würde reden.
Er würde vorsichtig sein müssen. Harpas Tod würde natürlich eine eigene Ermittlung auslösen, bei der er selbst der Hauptverdächtige wäre. Ísak musste sich vergewissern, im Honda unter keinen Umständen Beweismaterial für die Spurensicherung zurückzulassen. Es wäre wichtig, die Leiche weit entfernt von Grundarfjörður und allen Orten, wo er gesehen worden war, zu entsorgen.
Ein perfektes Alibi würde er nicht haben, aber er hatte die vergangene Nacht auf einem kleinen Campingplatz vor Reykjavík an der Straße nach Südosten verbracht und Wert darauf gelegt, dem Inhaber seinen Namen zu nennen. Früh am Morgen war er aufgebrochen und zurückgefahren, dann in Richtung Norden abgebogen. Wenn Harpa erst einmal aus dem Weg geschafft war, wollte er ganz Island durchqueren, notfalls über Nacht. Wenn er am Morgen nach Harpas Tod beim Zelten in Þórsmörk gesehen würde, weit östlich von Reykjavík, würde die Polizei vielleicht glauben, dass er die ganze Nacht in der Gegend gewesen war.
Ísak vertraute auf seine Intelligenz. Er würde es schon hinbekommen.
34
Vigdís betrachtete den Neunzehnjährigen ihr gegenüber. Er hatte rote Augen und machte einen elenden Eindruck.
Trotz der Nacht in Gewahrsam hatte er nicht geredet, und Vigdís wunderte sich. Sie hatte sich angestrengt, um etwas aus ihm herauszubekommen, ihm das Gefühl zu vermitteln, es sei gut, wenn er gestand, was immer es zu gestehen gab. Sie hatte von Gabríel Örn, Sindri, Björn und Harpa gesprochen. Ergebnislos.
Ingólf Arnarson. Keine Reaktion.
Dann hatte Árni es versucht. Sein Auftritt mit Geschrei und Getrommel war, ehrlich gesagt, peinlich gewesen. Kurz war sich Vigdís unsicher, ob sie ein halb amüsiertes Lächeln mit Frikki ausgetauscht hatte, doch da war es schon wieder vorbei gewesen. Sie hoffte inbrünstig, dass sie die Videoaufnahme nicht noch mal abspielen lassen müssten. Eines stand zweifellos fest: Árni schaute zu viel Fernsehen.
Es klopfte an der Tür, dann erschien einer der wachhabenden Constables. »Vigdís? Da möchte dich jemand sprechen.«
Vigdís ließ Árni allein und folgte dem Constable in das benachbarte Vernehmungszimmer. Dort saß eine dunkelhaarige Frau von ungefähr zwanzig Jahren.
»Ich bin Magda, Frikkis Freundin«, sagte sie auf Englisch.
Vigdís erinnerte sich, dass Árni eine Freundin erwähnt hatte, als er Frikki bei seiner Mutter abgeholt hatte. »Sprechen Sie Isländisch?«, fragte sie.
»Nur ein bisschen. Darf ich mit ihm reden?«
»Leider nicht. Wir befragen ihn in Verbindung mit einem sehr ernsten Vorfall.«
»Bitte! Nur fünf Minuten!«
Vigdís schüttelte den Kopf. »Tut mir leid. Aber vielleicht können Sie mir helfen. Wissen Sie irgendwas über den Tod von Gabríel Örn im Januar dieses Jahres?«
»Da war ich in Polen.«
»Hat Frikki mit Ihnen darüber gesprochen?«
Magda zögerte. Es herrschte Schweigen in dem kleinen Vernehmungszimmer. Vigdís wartete. Fast konnte sie sehen, wie sich die Rädchen im Kopf der jungen Polin drehten, die zu einem Entschluss zu kommen suchte.
»Ja«, sagte sie dann. »Ja, hat er. Aber es ist besser, wenn er es Ihnen selbst erzählt.«
»Sehe ich auch so«, sagte Vigdís. »Er will aber nicht.«
»Dann lassen Sie mich mit ihm sprechen«, sagte Magda. »Allein.«
Vigdís überlegte. Generell war es das Beste, keinen Kontakt unter Zeugen zuzulassen, sondern eine Absprache zwischen ihnen zu unterbinden und stattdessen die Unterschiede in ihren Aussagen herauszuarbeiten. Aber dieser Fall lag anders. Vigdís nickte.
Zehn Minuten später klopfte Magda an die Tür des Vernehmungszimmers. Vigdís öffnete.
»Frikki möchte reden«, sagte Magda.
Vigdís saß an einem Tisch im hinteren Bereich des Cafés auf der Hverfisgata, nur
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