Magnus Jonson 02 - Wut
denn der Mann war von der Straße aus nicht zu sehen.
Sehr merkwürdig. Sie wollte ihrer Mutter erzählen, was sie gesehen hatte.
»Anna Ösk!«, dröhnte die Stimme ihrer Mutter die Treppe hinauf. Das klang nicht gut.
»Anna Ösk, komm sofort herunter! Wie oft habe ich dir gesagt, dass du deine Spielsachen in der Küche wegräumen sollst, wenn du fertig bist? Jetzt reicht es mir! Heute gibt es kein Fernsehen, hast du mich verstanden?«
Anna Ösk musste weinen.
Magnus hielt vor dem Polizeirevier in Grundarfjörður und stieg aus seinem Range Rover.
»Magnús!«
Er entdeckte die untersetzte Gestalt von Páll in seiner schwarzen Uniform, der vom Hafen her auf ihn zugeeilt kam.
»Das ging aber schnell«, sagte Páll.
»Nicht viel Verkehr.«
Páll grinste.
»Irgendeine Spur von Björn?«, fragte Magnus.
»Bis jetzt nicht. Im Hafen wurde er seit zwei Tagen nicht mehr gesehen. Es ist unwahrscheinlich, dass er mit einem Boot draußen ist. Auf jeden Fall hat ihn niemand irgendwo an Bord gehen sehen. Der Hafenmeister meinte, er würde mal schauen, ob ein kleines Boot fehlte, das nicht gemeldet worden ist. Ich bin kurz bei seinen Eltern und seiner Schwester vorbeigefahren. Sie sagen ebenfalls, sie hätten nichts von ihm gehört. Dasselbe in dem Café, wo die Fischer oft sitzen. Die Polizei von Stykkishólmur und Ólafsvík hält ebenfalls nach ihm Ausschau. An jeder Straße, die auf die Halbinsel führt, sind Blockaden aufgestellt.«
Zumindest das war schnell gemacht: Es gab höchstens zwei, drei
Routen, die die Halbinsel mit dem Rest des Landes verbanden. Doch Snæfells selbst war groß, um die achtzig Kilometer lang und fünfzehn Kilometer breit, und von Bergen überzogen. Es war unmöglich, die Gegend gründlich zu durchsuchen.
Magnus überlegte, ob es mit einem Hubschrauber ginge. Am Meer schien die Sonne zwar, die Berge selbst waren jedoch in Wolken gehüllt.
Falls Björn Snæfellsnes schon am Vorabend verlassen hatte, konnte er jetzt längst auf der anderen Seite von Island sein. Wenn er hingegen vorhatte, Harpa zu verstecken, würde er vielleicht einen Ort wählen, den er kannte. Nahe der Heimat.
»Und jetzt?«
»Ich dachte an Geschäfte und Tankstellen«, schlug Páll vor. »Vielleicht hat er Proviant geholt oder getankt. Gibt nicht viele. Sollen wir uns aufteilen, oder willst du mit mir kommen?«
»Lass uns das zusammen machen«, sagte Magnus. »Du kennst den Ort und die Leute hier. Bei mir ist es reine Zeitverschwendung.«
»Gut«, sagte Páll und ging zu seinem weißen Streifenwagen. »Steig ein. Dann kannst du mir erzählen, was hier wirklich los ist.«
Ísak lenkte den armen Honda seiner Mutter an den Rand dessen, was noch von der Straße übrig war, und stellte ihn hinter einem großen konischen Felsen ab. Es war ein Wunder, dass die Achse nicht gebrochen war. Die Reifenabdrücke im Boden verwischte er mit dem Fuß. Er wollte nicht, dass Björn den Wagen entdeckte, sollte er noch einmal hoch zum Pass fahren.
Ísak nahm das in Borgarnes gekaufte Messer aus der Plastiktüte und schob es in seine Manteltasche. Dann schlich er zurück zum Felsblock. Die Hütte war ungefähr zweihundert Meter von der Stelle entfernt, wo der Weg zwischen den Felsen hervortrat. Praktisch gab es da keine Deckung, doch nur ein Fenster der Hütte zeigte in die Richtung, aus der Ísak kommen würde, und das war weit oben in der Wand, wahrscheinlich über Augenhöhe.
Er merkte, dass die Wolken dichter wurden und an den Hängen des Tals nach unten sackten.
Hinter dem Häuschen war eine ungefähr dreißig Meter hohe Klippe, an der ein Wasserfall herunterrauschte. Im Felsen schien ein senkrechter Spalt zu sein, groß genug, um sich hineinzuquetschen und die Hütte im Blick zu behalten.
Ísak versuchte es. Geduckt lief er los, um die Hütte herum, immer darauf achtend, dass er von dem größeren Fenster an der Seite nicht zu sehen war. Er drückte sich in den Felsspalt. Von hier hatte man tatsächlich einen guten Blick auf das Häuschen. Ísak war ziemlich sicher, dass Björn ihn nicht sehen konnte. Das einzige Problem war, dass das herabstürzende Wasser ihn durchnässte, und es war kalt. Sehr kalt.
Er wollte warten, bis Björn die Hütte wieder verließ. Dann würde er hineinhuschen und sich um Harpa kümmern. Anschließend warten, bis Björn zurückkam. Wenn der die Leiche entdeckte, würde Ísak einen Reifen von Björns Pick-up aufschlitzen und zu seinem eigenen Wagen zurücklaufen.
Sollte Björn sich doch die
Weitere Kostenlose Bücher