Magnus Jonson 02 - Wut
ein, wie man das Schaf zwischen die Beine klemmte, den Hörnern auswich und das Tier in den richtigen Pferch zog. Es war eine anstrengende Arbeit, doch unter den Bauern des Tals herrschte eine gewisse Hochstimmung. Sie freuten sich, ihr Vieh zurückzuhaben. Noch gut einen Monat würden die Tiere auf den Hauswiesen grasen, dann würde es für viele weitergehen zum Schlachter. Die übrigen verbrachten den Winter im Stall, verhätschelt von den Besitzern.
Nach zwei Stunden war die Arbeit erledigt.
»Danke, Sindri«, sagte Freyja. »Das war eine große Hilfe. Der réttarkaffi ist bei Gunni. Kommst du mit?«
»Nein«, sagte Sindri und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ich muss zurück nach Reykjavík.«
»Warum bleibst du nicht über Nacht bei uns?«, fragte Freyja.
Sindri lächelte. »Würde ich gern. Aber ich hab morgen einiges vor.«
Freyja sah ihn schief an. Offensichtlich glaubte sie nicht, dass Sindri jemals etwas zu tun hatte, das auch nur annähernd wichtig war. Was bis vor kurzem sogar gestimmt hatte.
»War jedenfalls schön, dich zu sehen. Danke für deine Hilfe. Wenn du mal ein bisschen Zeit hast und zu uns kommen willst – wir können immer ein paar zupackende Hände gebrauchen. Wir könnten dir nichts zahlen, aber du würdest sehr gut versorgt.«
»Vielleicht mache ich das«, sagte Sindri. »Weißt du schon, wann du den Hof verkaufen musst?«
»Momentan hält die Bank noch still. Aber wenn sie auf ihren Forderungen besteht, bin ich aufgeschmissen. Ich werde nie begreifen, warum sie Matti so viel Geld geliehen hat.«
»Das tut mir wirklich leid«, sagte Sindri. »Was er getan hat.«
Freyja zuckte mit den Schultern.
»Was hast du vor?«, fragte er.
»Wenn ich könnte, würde ich gern Bäuerin bleiben, damit die Mädchen genauso aufwachsen wie ich. Aber ich weiß nicht, wie das gehen soll. Mein Bruder arbeitet in Reykjavík, er hat eine kleine Softwarefirma. Er meint, er könnte mir vielleicht einen Job besorgen. Ich will zwar nicht nach Reykjavík ziehen, aber eventuell bleibt uns keine andere Wahl.«
»Halt mich bitte auf dem Laufenden«, sagte Sindri. »Viel Glück, Freyja!« Er gab ihr einen Kuss auf die Wange.
Auf dem Weg zu seinem Wagen und auf der Rückfahrt nach Reykjavík überlegte Sindri, ob Bjartur nicht vielleicht doch bis heute weiterlebte.
Er schämte sich so sehr, dass ihm fast übel wurde. Es waren Stadtbewohner wie er, die die Bauern übers Ohr gehauen hatten, nicht nur Banker und Politiker wie Ólaf Tómasson, sondern alle Menschen, die in den Boutiquen auf der Laugavegur einkauften, die Kreditnehmer, die Spekulanten, denen das Geld locker saß. Sicherlich kämpfte Sindri gegen das kapitalistische System, doch hatte er selbst das Landleben hinter sich gelassen. Sein Bruder war dem Reiz des schnellen Geldes erlegen.
Er wies gern anderen die Schuld an dem zu, was Island zugestoßen war, doch in Wahrheit war Sindri ebenso schuldig wie alle anderen auch.
Er hatte bei Freyja etwas gutzumachen. Und bei Frída. Und das würde er auch tun.
Zurück auf der Dienststelle, rief Magnus bei Detective Sergeant Piper an. Árni und Vigdís hörten wieder zu. Nach dem Gespräch mit Emilía hatten Magnus und Árni Óskars jüngeren Bruder in seinem Haus im Laugardalur-Bezirk von Reykjavík befragt. Er war sichtlich geknickt, weil das Familienvermögen sich in Luft aufgelöst hatte, doch neigte er eher dazu, Óskar in den Himmel zu heben, weil er den Traum möglich gemacht hatte, als ihm die Schuld an dem Verlust zu geben.
Vigdís hatte den verzweifelten Eltern einen Besuch abgestattet und Óskars leeres Haus in Þingholt durchsucht. Ergebnislos. Der Banker war neun Monate lang nicht dort gewesen. Nur eine Putzfrau kam alle vierzehn Tage vorbei, und eine Sekretärin von OBG Investments schaute regelmäßig nach der Post.
Magnus gab diese Informationen an Piper weiter. »Also gibt es von uns aus eigentlich kein Anzeichen für eine Verbindung nach Island«, sagte er. »Nach Russland genauso wenig. Wie sieht’s bei Ihnen aus? Hatten Sie Erfolg mit den Motorrädern?«
»Ein bisschen. Einer der Halter ist ein kleiner Drogendealer, der die Reichen in Kensington versorgt. Er behauptet, den Namen Gunnarsson noch nie gehört zu haben. Wir neigen dazu, ihm zu glauben. Außerdem hat er eine Kawasaki mit neunhundert Kubik, und einer der Zeugen sagte, die Maschine des Mörders hätte sich kleiner angehört.«
Magnus hatte schon immer Vorbehalte gegenüber der Neigung von Polizeibeamten
Weitere Kostenlose Bücher