Magnus Jonson 02 - Wut
von Hraun war in dieser Gegend immer noch ein Thema, auch wenn es schon fünfzig Jahre zurücklag. Und Benedikts Roman zeigte eine Lösung auf, die den Ortsansässigen sofort einleuchtete. Er wurde von seinem Nachbarn ermordet. Und der war dein Urgroßvater?«
»Ja. Er lebte auf Bjarnarhöfn. Das alles habe ich aber erst vor kurzem erfahren.«
»Und dann wurde ja Benedikt selbst kurze Zeit später ermordet. Aber das war unten in Reykjavík. Ich glaube, der Täter wurde nie gefasst.«
»Gab es je Gerüchte, dass es etwas mit dem Ort hier zu tun haben könnte?«
»Nein, bestimmt nicht. Solche Sachen passieren doch nur in der Großstadt, oder? Mit den Leuten von hier hat das nichts zu tun.«
»Und über Gunnars Tod bei Búlandshöfði gab es auch keine Vermutungen?«
»Nein. Hin und wieder verunglückte jemand dort oben, besonders früher, bevor die Straße ausgebessert wurde. Und es gibt natürlich jede Menge Geschichten über Trolle, die Reisende ins Meer werfen.«
»Kann ich mir vorstellen«, sagte Magnus.
»Und dem allen gehst du nach?«, fragte Páll.
»Nur aus persönlichem Interesse«, erwiderte Magnus. »Das ist natürlich keine offizielle polizeiliche Angelegenheit. Aber vielen Dank, Sara, dass wir in das Buch schauen durften. Und behaltet die Sache bitte für euch.«
Magnus war klar, dass er sich nicht hundertprozentig auf ihre Diskretion verlassen konnte, aber immerhin war Páll Polizist, und die beiden machten einen zuverlässigen Eindruck.
»Kein Problem«, sagte Sara lächelnd. »Bleibt doch und esst mit uns zu Mittag! Ich habe einen Eintopf gemacht. Es ist bestimmt genug für alle da.«
19
Der Eintopf war wirklich lecker: Lamm mit Gemüse. Páll und Sara hatten zwei etwas übermütige, aber freundliche Kinder, und sowohl Magnus als auch Ingileif gefiel die Warmherzigkeit der Familie. Páll musste den Jungen zum Basketballtraining bringen, deshalb brachen sie kurz nach dem Mittagessen auf.
»Und, was hältst du von der Geschichte?«, fragte Ingileif. »Glaubst du, dass bei deinem Urgroßvater nachgeholfen wurde?«
»Das ist die klassische Frage, oder? Fiel er selbst, oder wurde er gestoßen? In diesem Fall halte ich es schon für möglich, dass er geschubst wurde. Aber von wem?«
»Es muss Benedikt selbst gewesen sein.«
»Oder einer, den er gut kannte. Sein Bruder? Ich kann mir kaum vorstellen, dass er es in einer Kurzgeschichte beichtet.«
»Vielleicht musste er es sich irgendwie von der Seele schreiben«, sagte Ingileif. »Schließlich handelt jenes Kapitel in Das Moor und der Mann eindeutig von Gunnar.«
»Das könnte alles Zufall sein«, meinte Magnus.
»Du bist der Polizist. Du glaubst doch nicht an Zufall, oder?«
»Eigentlich schon«, sagte Magnus. »Im wahren Leben gibt es solche Sachen. Man muss immer objektiv bleiben.«
»Besuchen wir jetzt Unnur? Und fragen sie, ob sie diese Kurzgeschichte gelesen hat?«
»Ich rufe sie an«, sagte Magnus.
Unnur war einverstanden, die beiden in einem alteingesessenen Restaurant in Stykkishólmur zu treffen. Es war ein gemütliches, warmes Lokal, leer bis auf einen Spanier und einen Isländer, die sich auf Englisch über Fisch unterhielten. Man hatte einen guten
Blick auf den Hafen, wo eine Fähre in Richtung der Westfjorde langsam Fahrt aufnahm.
Unnur wartete bei einer Tasse Kaffee auf die beiden. Magnus stellte Ingileif vor.
»Ich wollte nicht, dass wir uns wieder zu Hause treffen«, sagte Unnur. »Mein Mann ist da, und ich habe ihm die Geschichte mit deinem Vater noch nicht erzählt. Ich bin nicht stolz darauf; es wäre mir lieber, er wüsste es nicht.«
»Verstehe«, sagte Magnus. »Aber keine Sorge. Wie ich schon am Telefon sagte: Darüber wollten wir gar nicht sprechen.«
»Hast du das Kapitel in Das Moor und der Mann gelesen?«, wollte Unnur wissen.
»Ja«, sagte Magnus. »Deiner Meinung nach bedeutet es, dass Gunnar seinen Nachbarn umgebracht hat?«
»Ja. Da bin ich mir ziemlich sicher. Du kannst dir bestimmt vorstellen, dass hier viel getratscht wurde, als das Buch herauskam. Es dauerte nicht lange, bis jemandem die Parallelen auffielen. Damals arbeitete ich noch in Reykjavík, aber bei jedem Besuch zu Hause wurde darüber geredet.«
»Weißt du auch, was Benedikt selbst dazu sagte?«
»Er leugnete es natürlich, aber niemand glaubte ihm. Ich glaube, er wunderte sich, dass die Leute die Parallele erkannten. Und dein Großvater sagte natürlich auch, es sei alles Blödsinn. Wie du dir vorstellen kannst, war er sauer wegen
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