Magyria 02 - Die Seele des Schattens
ihr. »Wie willst du sie finden? So, wie ich heute hier nach Wilder gesucht habe? Wir haben keine Chance, Hanna. Bevor wir sie entdeckt haben, werden sie uns festnehmen.«
Hanna strich sich die Haare aus der Stirn. »Du hast keine Angst davor«, sagte sie. »Du hast nie Angst! Ist es meinetwegen? Willst du deshalb nichts unternehmen? Mattim, bitte! Wir können Réka nicht durch Akink irren lassen, bis man sie fängt und hinrichtet!«
»Wilder ist bei ihr«, erinnerte er. »Dort hat er seine Sinne wieder beieinander und kann ihr helfen, wenigstens eine Zeit lang. Vielleicht führt er sie zurück zur Pforte.«
»Wovor hast du Angst?«, fragte sie noch einmal.
Er hielt ihren Blick aus, diese eindringliche, besorgte Frage. Anders als Réka warf sie ihm nicht Feigheit vor. Hanna wollte es verstehen. Sie glaubte immer daran, dass er gute Gründe für seine Entscheidungen hatte. Diesmal fühlte er sich allerdings schwach und hilflos.
»Na gut«, sagte er schließlich. »Wie lange ist sie schon fort? Wilder hätte sie längst zurück zur Pforte gedrängt, wenn es möglich gewesen wäre. Aber sie ist von dem Gedanken besessen, Kunun zu retten. Allein aufgrund ihrer Kleidung wird man sie rasch erkennen. Vielleicht ist sie schon längst tot. Wenn sie Glück hat, sperrt man sie ein. Wir könnten einen Unterhändler nach Akink schicken, um zu verhandeln.«
»Lass uns das machen!«, rief Hanna.
»Warte. Glaubst du, daran hätte ich nicht sofort gedacht? Aber was sollen wir anbieten? Wir haben Akink nichts zu geben. Sie wären dumm, wenn sie ihre Geiseln einfach so gehen ließen. Wir könnten ihnen höchstens den Rückzug anbieten – nur werden sie das glauben? Meine Eltern vertrauen mir nicht mehr.« Er lachte bitter. »Und haben sie nicht recht damit? Sobald Kunun frei wäre, würde er wieder zuschlagen.«
»Du sollst ja auch nicht Kunun auslösen. Sondern Réka.«
»Die Schatten wollen ihren König. Ich habe nichts anzubieten, wenn es nur um Réka geht. Atschorek wird sich einen Dreck um irgendeine Vereinbarung scheren, wenn wir bloß um das Mädchen kämpfen. Sobald Kunun frei ist …« Mattim verhielt in seiner Wanderung durchs Wohnzimmer und starrte in den dunklen Wintergarten, wo sich die Palmen vor dem Glas abhoben.
»Ein Patt«, sagte er leise. »Wir greifen nicht an, solange sie Kunun haben. Sobald sie ihn töten, ist Akink verloren. Wenn sie zu lange zögern, müssen sie befürchten, dass uns vielleicht noch irgendeine Teufelei einfällt und wir ihn uns wiederholen. Ein wütender Kunun wird erst recht vor nichts Halt machen … Was kann ich ihnen anbieten, außer Zeit?« Er drehte sich zu Hanna um. »Zeit, um die Stadt zu evakuieren?«
Sie starrte ihn an. »Was? Du gibst Akink verloren?«
»Akink ist bereits verloren«, sagte Mattim. »In dem Moment, als Wilder den armen Peron gebissen und die Pforte geöffnet hat. Das Licht hat nur noch eine einzige Chance – die Stadt aufzugeben und zu fliehen. Meine Eltern werden das niemals einsehen. Sie fürchten sich noch lange nicht genug. Um sie dazu zu bringen, müsste ich ihnen die Gefahr noch viel deutlicher vor Augen führen …«
Er erstarrte mitten in der Bewegung, als befände sich genau vor ihm eine Pforte, in die er hineinfallen könnte. Eine Weile lehnte er die Stirn gegen das kühle Glas und schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, waren sie grau wie kalte Asche, und Hanna fürchtete sich unwillkürlich vor dem, was er sagen würde.
»Es gibt einen Weg. Wir haben noch eine einzige Chance, um das Licht zu retten. Und Réka.« Er hob den Kopf. Der Entschluss brannte hinter seiner Stirn, leuchtete aus seinen Augen; eine wilde, verzweifelte Entscheidung.
»Ich werde Akink angreifen.«
»Was?« Fassungslos starrte Hanna ihn an. »Was sagst du da? Sie werden Réka umbringen!«
»Wir erobern Akink«, sagte er. »Wir nehmen sie in die Zwickmühle, wir lassen ihnen keinen Ausweg – und dann biete ich ihnen Zeit an. Zeit, um uns die Stadt und die Geiseln zu überlassen. Zeit für meine Eltern, um zu fliehen. Was kümmern mich die Häuser, die Straßen? Soll Kunun die Burg bekommen, die Mauern, soll er seinen Thron aufstellen und glücklich sein.«
»Was dich die Häuser kümmern? Oh, Mattim, du Lügner!« Hanna war aufgesprungen und umarmte ihn. Sie barg den Kopf an seiner Brust, und er streichelte ihr Haar, seltsam ungeschickt, als würde er es zum ersten Mal tun. »Du willst Akink angreifen – für Réka?«
Er hörte sie weinen und wunderte sich
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