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Magyria 02 - Die Seele des Schattens

Titel: Magyria 02 - Die Seele des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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gegen zwanzigtausend Menschen? Wir schlagen sie zurück. Wir haben sie immer zurückgeschlagen.«
    »Es war nie so wie heute«, erinnerte Elira. »Nie. Ich fühle es, sie werden kommen. Leg das Schwert weg, es nützt dir gar nichts. Wir müssen … Wo ist Mirita? Ruf sie her«, befahl sie dem Diener. »Schnell!«
    Der König zog die Brauen hoch. »Was hast du vor?«
    »Vielleicht gibt es noch einen Ausweg«, sagte sie. »Haben wir nicht die Geiseln? Jetzt ist die Stunde gekommen.«
    Im Nebenzimmer lehnte die breite grüne Tür an der Wand wie ein Bild oder ein Spiegel, der zu schwer war, um ihn aufzuhängen. Dort hing die lebensgroße Gestalt eines Mannes in zerrissenen Kleidern, aus dessen Mitte, durch einen Wust an Stricken und Eisenketten hindurch, eine abgesägte Lanze ragte. Auch die Hände des Verletzten waren gefesselt und an dicken Eisenhaken festgebunden. Hier, im innersten Bereich, geschützt von Burgmauern und Wachen, war der sicherste Platz in ganz Akink.
    »Was ist das für ein Lärm?«, fragte Réka.
    Sie hockte in einem Wolfskäfig, um den brennende Lampen angeordnet waren wie ein Ring aus Feuer. Wenn nicht Kunun hier gewesen wäre, hätte sie daran glauben können, dass sie träumte. Was für ein seltsamer Albtraum, gefangen zwischen Eisenstäben und Flammen. Sie vermied es, auf ihr Handgelenk zu schauen. Eigentlich hätte sie verbluten müssen. Eigentlich hätte es das alles hier nicht geben dürfen. Aber in diesem Traum befand sich auch Kunun, und deshalb konnte sie es aushalten. Mit ihm zusammen konnte sie alles ertragen.
    »Sie kommen«, sagte Kunun und lachte. »Ja, sie kommen! Das ist eine gute Nachricht, meine Liebe.«
    Genauso hatte er gelacht, als man sie hergebracht hatte. Merkwürdigerweise war alles andere verblasst, waren die anderen Eindrücke – wie sie in die Stadt gelangt war, wie die Soldaten sie ergriffen hatten – irgendwie abhanden gekommen. Dunkel erinnerte sie sich an Schreie – »Schatten!«, riefen sie, »Schatten!« – und an Angst. Wahrscheinlich war es ihre eigene Angst gewesen.
    Unzählige Gestalten waren herumgerannt, schwarz vor dem brennenden Hintergrund. Fackeln und brennende Pfeile und eine Stimme, die laut rief: »Wo ist Kunun? Wo ist Kunun?« Auch das war vermutlich sie selbst. Dann – ab hier erst wurde das Bild klar – fand sie sich in diesem Raum wieder und sah ihn, und das Erschrecken durchfuhr sie wie ein Eiszapfen, der ihr mitten ins Herz drang. Und er lachte. Ja, daran erinnerte sie sich, wie er lachte, königlich amüsiert.
    »Réka! Sieh an. Ich habe dich erwartet. Na, dann hat es sich gelohnt. Herzlich willkommen, meine Teuerste!«
    Nun lachte er wieder so, und sie konnte kaum glauben, dass dieser Albtraum enden würde. Dass irgendetwas gut werden konnte. Seltsamerweise war ihr auch das egal.
    »Wer kommt?«, fragte sie, nicht, weil ihr so viel daran lag, es zu erfahren, sondern weil sie ihn reden hören wollte. Seine Stimme, so dunkel und seidig. Wenn sie erklang, war es ihr, als würden schwarze Fahnen durch den Raum wehen und Tücher rascheln. Es fühlte sich an wie eine sanfte Berührung auf der Haut. Sie erschauerte.
    »Weiß ich’s?« Aber er freute sich, er frohlockte, in seiner Stimme entzündete sich der Jubel und brandete auf. War es der Rauch dieser Freude, der durch das steinerne Zimmer schwebte? Oder brannte die Stadt? Sie hatte keine Ahnung. Sie wusste nur, dass dieser Klang sie am Leben hielt und die Leere ausfüllte, die sie in ihrer Brust spürte. Es war kein richtiger Schmerz, eher die Abwesenheit davon, die Abwesenheit von allem. Phantomschmerz , dachte sie. Ist es das? Nichts hatte sie gewusst über diese Welt und über die Wirklichkeit, und niemals hätte sie erraten, dass das, was sich heimlich hinter den Dingen abspielte, so sehr ihren Träumen glich.
    »Mein Herz schlägt nicht«, sagte sie vorsichtig, als müsste sie ihre Worte behutsam vorschicken, um die neuen Wahrheiten zu erkunden, bevor sie ihnen folgen konnte.
    »Keine Sorge, meine Liebe«, meinte er. »Eines Tages schlägt es wieder. Eines Tages wirst du durch den Wolf hindurch dein Leben wiederfinden. Es sei denn, die Erlösung, mit der ich rechne, kommt der Verwandlung zuvor.«
    »Ist jemand unterwegs, um uns zu retten? Ist es Atschorek? Sind es deine Freunde?«
    »Nur einer kann uns hier herausholen«, sagte Kunun, und hinter den wabernden Flammen konnte sie undeutlich sein Lächeln erkennen. »Nur einer kann es mit ganz Akink aufnehmen. Nur einem wird sich diese

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