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Mahlstrom

Titel: Mahlstrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Watts
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Sie riss an dem kleinen Arm. Der Junge stieß einen Schrei aus.
    In der Ferne regten sich die Schlafenden, die jedoch an die ständige Unruhe gewöhnt waren. Niemand schien aufzuwachen.
    »Warum sollte Sie das kümmern?«, zischte Amitav. »Schließlich ist es keine Waffe. Das haben Sie selbst gesagt. Halten Sie mich für so dumm, dass ich solchen Behauptungen Glauben schenke, während Sie mit dem Ding herumwedeln, als sei es ein Ataghan? Was ist es? Ein Elektroschocker?«
    »Ich zeige es Ihnen«, sagte sie.
    Sie beugte sich vor, das Kind immer noch fest im Griff. Eine depolarisierende Klinge schob sich an der Spitze ihres Zeigefingers aus ihrem Handschuh wie ein grauer Fingernagel. Unter ihrer Berührung öffnete sich das Futteral an ihrer Wade, als wäre es mit einem Seziermesser aufgeschnitten worden. Der Knüppel glitt in ihre Hand, ein ebenholzfarbener Stab mit stumpfem Ende, dessen Griff mit einem fluoreszierenden Band umwickelt war.
    Amitav hob beschwichtigend die Hände. »Das ist wirklich nicht nötig …«
    »Oh doch, das ist es. Kommen Sie her, und schauen Sie zu.«
    Amitav machte einen Schritt rückwärts.
    »Der Knüppel funktioniert über Kontakt«, sagte Clarke. »Er verschießt komprimiertes Gas. Sehr nützlich in der Riftzone, wenn die wilden Tiere versuchen, einen zu fressen.«
    Sie löste die Sicherung des Knüppels und stieß den Stab mit der Spitze voran in den Sand.
    Mit einem Krachen wie von einem Donnerschlag explodierte der Strand.
     
    Das ganze Universum war von einem Klingeln erfüllt, als hätte jemand eine Stimmgabel angeschlagen. Sie lag an der Stelle, wo die Explosion sie zu Boden geworfen hatte. Ihr Gesicht brannte, als wäre es mit einem Sandstrahlgebläse bearbeitet worden.
    Ihre Augenlider waren zugekniffen. Sie hatte das Gefühl, dass es geraume Zeit dauerte, bis sie sie wieder öffnen konnte.
    Ein drei Meter breiter Krater gähnte im Sand, der sich mit Grundwasser füllte.
    Sie kam auf die Beine. Die Zonenbewohner waren augenblicklich erwacht und hatten die Flucht ergriffen. Dann waren sie wieder zurückgekehrt und standen nun im Kreis mit erschrockenen und verängstigten Gesichtern um sie herum.
    Erstaunlicherweise hielt sie immer noch den Gasknüppel in der Hand.
    Ungläubig und betäubt betrachtete sie das Gerät. Sie hatte es öfter benutzt, als sie zählen konnte. Wann immer eines der Ungeheuer an der Channer-Quelle versucht hatte, sie in Stücke zu reißen, hatte sie pariert, mit dem Knüppel zugeschlagen und zugesehen, wie ein weiterer Räuber sich unter ihrer Berührung aufgebläht hatte und zerplatzt war. Für die Fische war der Knüppel natürlich tödlich gewesen, aber er hatte noch nie eine solch starke Explosion hervorgerufen. Nicht unten in der …
    Oh Mist. In der Riftzone.
    Der Knüppel war so eingestellt, dass er auf dem Grund des Meeres eine tödliche Ladung verschoss, wo fünftausend PSI kaum mehr als ein leichter Rülpser waren. Dort unten war er eine recht wirksame Waffe gewesen. Bei Normalnull, ohne den Gegendruck mehrerer hundert Atmosphären, war er eine Bombe.
    »Ich wollte nicht … ich dachte …« Clarke blickte sich um. Eine endlose Reihe von Gesichtern blickte zurück.
    Amitav lag auf der gegenüberliegenden Seite des Kraters am Boden. Er stöhnte und hob eine Hand an sein Gesicht.
    Von dem Jungen war nichts zu sehen.

Knochenmann
    Ein Donnerschlag um Mitternacht. Irgendetwas war in der Nähe eines Calvin-Cyclers südlich von Gray's Harbor explodiert. Eine Mechfliege war um die Landzunge herum in Richtung Süden unterwegs gewesen. Sie hatte die Detonation zwar nicht gesehen, war jedoch in Hörweite gewesen. Sie schickte ein Alarmsignal an die Basis und flog schnurstracks zum Explosionsort, um Erkundigungen anzustellen.
    Sou-Hon Perreault hatte gerade Dienst. Als sie herausgefunden hatte, dass Meerjungfrauen vorwiegend nachts unterwegs waren, war sie sofort zur Friedhofsschicht übergewechselt. (Ihr Mann, der erst vor kurzem über die besonderen Bedürfnisse von Opfern einer posttraumatischen Belastungsstörung aufgeklärt worden war, hatte die Veränderung ohne jeden Widerspruch hingenommen.) Jetzt klinkte sie sich in die Wahrnehmungssphäre der Mechfliege ein und machte eine Bestandsaufnahme.
    Ein flacher Krater gähnte im Sand der Gezeitenzone. Darum herum ein chaotisches Durcheinander aus Wärme und Bioelektrizität, rastlos wie eine aufgeschreckte Viehherde. Perreault grenzte das elektromagnetische Spektrum auf verstärktes sichtbares Licht ein,

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