Maigret - 26 - Maigret regt sich auf
Ernest Malik gespeist«, bemerkte er brummig.
»Was hat er Ihnen gesagt?«
»Daß Sie eine verrückte Alte seien und daß sein Sohn Georges-Henry fast ebenso verrückt sei wie Sie.«
»Sie haben ihm das geglaubt?«
»Als ich dann in den ›Ange‹ zurückkehrte, hat jemand, der vermutlich der Meinung ist, daß meine Karriere erfolgreich genug sei, einen Schuß auf mich abgegeben. Ich nehme an, daß der junge Mann hier war.«
»Welcher junge Mann? … Meinen Sie Georges-Henry? Ich habe ihn den ganzen Abend nicht gesehen.«
»Sein Vater hat jedoch behauptet, daß er bei Ihnen Zuflucht gesucht habe …«
»Wenn Sie alles, was er sagt, für bare Münze nehmen …«
»Haben Sie nichts von ihm gehört?«
»Nein, dabei wäre ich sehr froh, von ihm etwas zu hören … Kurz und gut, was haben Sie erfahren?«
In diesem Augenblick sah er sie an und fragte sich, ohne einen Grund dafür angeben zu können, ob sie wirklich wollte, daß er etwas herausbekam.
»Wie es scheint«, nahm sie den Faden wieder auf, »verstehen Sie sich mit Ernest sehr gut.«
»Wir waren im Gymnasium von Moulins in derselben Klasse, und er duzt mich beharrlich, als seien wir zwölf Jahre alt.«
Er hatte heute seinen schlechten Tag. Der Kopf schmerzte ihn. Seine Pfeife schmeckte ihm nicht, und er hatte dem Zimmermädchen folgen müssen, ohne seinen Kaffee getrunken zu haben, weil es im ›Ange‹ noch keinen gab.
Er begann dieser Familie überdrüssig zu werden, in der man sich gegenseitig nachspionierte und in der niemand die Wahrheit zu sagen schien.
»Ich habe Angst um Georges-Henry«, murmelte sie jetzt. »Er hat seine Kusine so geliebt. Ich bin nicht sicher, ob zwischen ihnen nichts gewesen ist.«
»Er ist sechzehn.«
Sie maß ihn von oben bis unten.
»Und Sie glauben, das sei ein Hinderungsgrund? … Ich bin nie so verliebt gewesen wie mit sechzehn Jahren, und wenn ich eine Dummheit hätte begehen müssen, dann hätte ich es bestimmt in diesem Alter getan. Sie sollten sich auf die Suche nach Georges-Henry machen.«
Und er, kalt, fast sarkastisch:
»Und wo, bitte, soll ich ihn suchen?«
»Das ist Ihr Beruf, nicht meiner. Ich frage mich, warum sein Vater behauptet hat, er habe ihn zu mir gehen sehen. Malik weiß ganz genau, daß das nicht stimmt.«
Ihre Stimme verriet echte Besorgnis. Sie ging im Zimmer auf und ab, aber sobald der Exkommissar Anstalten machte, sich zu erheben, wiederholte sie:
»Setzen Sie sich!«
Sie sprach wie zu sich selbst. »Sie haben für heute ein großes Mittagessen vorbereitet. Charles Malik und seine Frau werden dasein. Sie haben auch den alten Campois eingeladen und diesen alten Trottel von Groux. Sogar ich habe in aller Frühe eine Einladungskarte erhalten. Ich frage mich, ob Georges-Henry bis dahin zurück ist.«
»Weiter haben Sie mir nichts mitzuteilen, Madame?«
»Was soll das heißen?«
»Nichts. Als sie gestern nach Meung gekommen sind, haben Sie mir zu verstehen gegeben, daß Sie nicht glauben wollen, daß Ihre Enkelin eines natürlichen Todes gestorben ist.«
Sie sah ihn durchdringend an, ohne etwas von ihren Gedanken erkennen zu lassen.
»Und seit Sie hier sind«, erwiderte sie mit einer gewissen Heftigkeit, »wollen Sie sagen, daß Sie alles ganz natürlich finden, was sich bei uns abspielt?«
»Das habe ich nicht behauptet.«
»Also schön, machen Sie weiter. Gehen Sie zu diesem Essen.«
»Werden Sie auch dort sein?«
»Ich weiß es nicht. Schauen Sie sich um. Hören Sie zu. Und wenn Sie so tüchtig sind, wie behauptet wird …«
Offensichtlich war sie nicht zufrieden mit ihm. Zeigte er sich ihren Schrullen gegenüber nicht fügsam, nicht ehrerbietig genug? War sie enttäuscht, daß er noch nichts entdeckt hatte?
Trotz ihrer Selbstbeherrschung wirkte sie nervös und besorgt. Sie ging auf die Tür zu, um ihn zu verabschieden.
»Ich fürchte, daß diese Schurken intelligenter sind als Sie«, sagte sie statt eines Grußes. »Wir werden ja sehen. Im Augenblick mache ich jede Wette, daß die anderen Sie unten erwarten.«
Sie hatte recht. Er erreichte den Flur, als sich lautlos eine Tür öffnete. Ein Zimmermädchen – nicht die Frau, die ihn hergeführt hatte – richtete ihm mit einem Knicks aus:
»Monsieur und Madame Malik erwarten Sie im kleinen Salon. Wenn Sie mir bitte folgen wollen …« Im Haus war es kühl, die Wände zierten verblichene Farben, die Türen waren geschnitzt, mit Pfeilern versehen, überall hingen Gemälde und Kupferstiche. Weiche Teppiche dämpften die
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