Maigret - 26 - Maigret regt sich auf
Schwiegermutter in ihrem Denken nicht zu sehr zu unterstützen, die …«
»Sind Sie davon überzeugt, Monsieur Malik, daß Ihre Tochter eines natürlichen Todes gestorben ist?«
»Ich denke, es war ein Unfall.«
Er war errötet, aber er hatte entschlossen geantwortet.
»Und Sie, Madame?«
Das Taschentuch war nur noch eine winzige Kugel in ihrer Hand.
»Ich denke wie mein Mann.«
»In diesem Fall natürlich …«
Er machte ihnen Hoffnung. Er merkte, wie die Hoffnung in ihnen wuchs, daß er sie für immer von seiner bedrückenden Gegenwart befreien würde.
»… Ich fühle mich verpflichtet, der Einladung Ihres Bruders Folge zu leisten. Wenn dann nichts dazwischenkommt, wenn kein neuer Zwischenfall meine Anwesenheit erforderlich macht …«
Er erhob sich, fühlte sich nicht viel wohler in seiner Haut als sie. Er hatte es eilig hinauszukommen, tief durchzuatmen.
»Wir sehen uns also gleich«, sagte Charles Malik. »Entschuldigen Sie bitte, daß ich Sie nicht begleiten kann, aber ich habe noch zu tun.«
»Aber bitte sehr! Madame, ich darf mich empfehlen.«
Er befand sich im Park, ging auf die Seine zu, als er ein Geräusch vernahm, das ihn überraschte. Es war der Ton von der Kurbel eines Landtelefons mit dem kurzen Klingeln, das die hergestellte Verbindung ankündigte.
›Er ruft seinen Bruder an, um ihn von dem Gespräch zu unterrichten‹, dachte er.
Und er glaubte, seine Worte zu erraten:
»Geschafft. Er wird wieder gehen. Er hat es versprochen. Sofern beim Mittagessen nichts passiert.«
Ein Schlepper zog seine acht Kähne die Seine aufwärts. Es war ein Dampfer mit einem grünen Dreieck, ein Schiff der Firma Amorelle und Campois; auch die Lastkähne gehörten der Firma Amorelle und Campois.
Es war erst halb zwölf. Ihm war nicht danach, zum ›Ange‹ zurückzukehren, und woanders hatte er nichts zu suchen. Er folgte der Uferböschung und wälzte wirre Gedanken in seinem Kopf. Wie ein Gaffer blieb er vor dem luxuriösen Sprungturm Ernest Maliks stehen, dessen Haus er den Rücken zukehrte, als er plötzlich angesprochen wurde.
Es war Ernest Malik, diesmal in einen feinen grauen Anzug gekleidet, mit weißen Wildlederschuhen und einem Panamahut auf dem Kopf.
»Mein Bruder hat mich eben angerufen.«
»Ich weiß.«
»Du scheinst von den Geschichten meiner Schwiegermutter die Nase schon voll zu haben.«
Es lag etwas Beherrschtes in seiner Stimme, etwas Nachdrückliches prägte seinen Blick.
»Wenn ich recht verstehe, hast du Lust, zu deiner Frau und deinem Salat zurückzukehren.«
Ohne ersichtlichen Grund (vielleicht war es das, was man ›Inspiration‹ nennt) machte Maigret sich gewichtiger, schwerfälliger, träger denn je und erwiderte:
»Nein.«
Malik zeigte sich getroffen. All seine Kaltblütigkeit konnte nicht verhindern, daß er sich getroffen zeigte. Einen Moment sah er aus wie jemand, dem die Spucke wegbleibt, und man gewahrte, daß sein Adamsapfel sich zwei- oder dreimal senkte und wieder hob.
»Ach!«
Ein kurzer Blick in die Runde, aber er hatte nicht die Absicht, Maigret in die Seine zu stoßen.
»Wir haben noch ein Weilchen Zeit, ehe die Gäste eintreffen. Wir essen im allgemeinen spät zu Mittag. Komm doch einen Augenblick mit in mein Arbeitszimmer.«
Sie wechselten kein Wort miteinander, während sie durch den Park gingen. Maigret erspähte Madame Malik, die im Salon Blumen in die Vasen stellte.
Sie schritten um die Villa herum, und Malik betrat vor seinem Gast ein recht geräumiges Büro mit tiefen Ledersesseln und Schiffszeichnungen an den Wänden.
»Du kannst ruhig rauchen …«
Er schloß sorgfältig die Tür und ließ die Jalousien halb herab, denn die Sonne strahlte voll ins Zimmer. Schließlich setzte er sich an seinen Schreibtisch und spielte mit einem kristallenen Brieföffner.
Maigret hatte sich auf einer Sessellehne niedergelassen und stopfte langsam, mit möglichst gedankenloser Miene, seine Pfeife. Da das Schweigen schon geraume Zeit währte, fragte er mit Bedacht:
»Wo ist dein Sohn?«
»Welcher?«
Dann besann sich Malik:
»Es geht nicht um meinen Sohn. Es geht um mich.«
»Was soll das heißen?«
»Nichts!«
»Nun gut, ja, es geht um dich.«
Und neben diesem eleganten Mann, dieser feinnervigen Gestalt mit dem schmalen und gepflegten Gesicht wirkte Maigret tatsächlich wie ein Bauer.
»Wieviel bietest du mir?«
»Wer hat dir gesagt, daß ich beabsichtige, dir etwas zu bieten?«
»Ich nehme es an.«
»Warum eigentlich nicht? Die Behörden
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