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Maigret - 35 - Maigrets Memoiren

Maigret - 35 - Maigrets Memoiren

Titel: Maigret - 35 - Maigrets Memoiren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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sehen, aber auch mein Vater hat nie mehr ein Wort über ihn fallen lassen.
    Eine trübe, verworrene Zeit folgte auf jene Tage. Ich ging in die Dorfschule. Mein Vater wurde immer wortkarger. Er war zweiunddreißig, und mir ist erst jetzt bewußt, wie jung er damals war.
    Ich wehrte mich nicht, als ich mit zwölf Jahren nach Moulins ins Gymnasium geschickt wurde, als interner Schüler, weil es unmöglich war, mich jeden Tag hinzufahren.
    Ich bin dort nur ein paar Monate geblieben. Ich war unglücklich, völlig fremd in einer neuen Welt, die ich als feindlich empfand. Meinem Vater sagte ich nichts davon, wenn er mich am Samstagabend nach Hause holte. Ich habe mich nie beklagt.
    Er muß es gespürt haben, denn in den Osterferien bekamen wir unversehens Besuch von seiner Schwester, deren Mann in Nantes eine Bäckerei eröffnet hatte, und ich sah, daß etwas dahintersteckte, das von langer Hand geplant und auf brieflichem Weg beschlossen worden war.
    Meine Tante hatte eine sehr rosige Gesichtshaut und eine Neigung zum Dickwerden. Sie war kinderlos, was sie tief bekümmerte.
    Tagelang sah ich sie unbeholfen um mich kreisen, als wollte sie mich abschätzen.
    Sie erzählte mir von Nantes, ihrem Haus am Hafen, dem guten Geruch nach warmem Brot, ihrem Mann, der die ganze Nacht in seiner Backstube verbrachte und tagsüber schlief.
    Sie tat sehr aufgeräumt. Ich wußte Bescheid. Ich war resigniert. Sagen wir es genauer – denn das Wort »resigniert« mag ich nicht -: Ich war mit allem einverstanden.
    Wir sprachen lange miteinander, mein Vater und ich, auf einem Spaziergang durch die Felder, an einem Sonntag nach der Messe. Zum erstenmal sprach er mit mir wie mit einem Erwachsenen. Er erwog meine Zukunft, die Unmöglichkeit, mich zu Hause weiterbilden zu lassen, den Mangel an einem geregelten Familienleben, unter dem ich als interner Schüler in Moulins leiden würde.
    Heute weiß ich, was er dachte. Er war sich darüber klar, daß ein Mann, der sich wie er in sich selbst verkrochen hatte und fast nur noch mit seinen Gedanken lebte, kein passender Gefährte für einen Jungen war, der noch alles vom Leben erwartete.
    Ich bin mit meiner Tante abgereist. Auf der Kutsche, die uns zur Bahn brachte, fuhr scheppernd ein dicker Koffer mit.
    Mein Vater hat nicht geweint. Ich auch nicht.
     
    Das ist so ziemlich alles, was ich von ihm weiß. In Nantes war ich jahrelang nichts anderes als der Neffe der Bäckersleute, und an den Mann mit der behaarten Brust, den ich tagein, tagaus im rötlichen Schein des Backofens werken sah, habe ich mich mit der Zeit fast gewöhnt.
    Die Ferien verbrachte ich immer bei meinem Vater. Zu sagen, wir seien einander fremd gewesen, ginge zu weit. Aber ich hatte mein eigenes Leben, meine Erwartungen, meine Probleme.
    Er war mein Vater, und ich liebte ihn, ich dachte an ihn, aber ich hatte es aufgegeben, ihn verstehen zu wollen. Und dabei ist es geblieben, jahrelang. Ist es heute noch so? Ich möchte sagen, ja.
    Als die Neugier zurückkehrte, war es zu spät, um ihm die Fragen zu stellen, die ich ihm gern gestellt hätte, und ich machte mir Vorwürfe, weil ich nicht gefragt hatte, solange er noch da war und antworten konnte.
    Mein Vater ist mit vierundvierzig Jahren an Brustfellentzündung gestorben.
    Ich war ein junger Mann, ich hatte Medizin zu studieren begonnen. Bei meinen letzten Besuchen im Schloß war mir die Röte auf den Backenknochen meines Vaters aufgefallen; auch hatte ich bemerkt, daß seine Augen am Abend fiebrig glänzten.
    »Hat es in unserer Familie jemals Schwindsucht gegeben?« habe ich meine Tante einmal gefragt.
    Sie tat, als hätte ich von einer Schande gesprochen.
    »Nie im Leben, wo denkst du hin? Stark wie Eichen waren sie alle. Erinnerst du dich denn nicht mehr an deinen Großvater?«
    Ich erinnerte mich nur zu gut. Ich mußte an den trockenen Husten denken, den er dem Tabak zuschrieb. Und so weit meine Erinnerungen zurückreichten, hatte ich meinen Vater immer mit diesen geröteten Wangenknochen gesehen, als schwelte ein Feuer unter der Haut.
    Auch meine Tante hatte diese Röte im Gesicht.
    »Das kommt von der ewigen Wärme in der Bäckerei«, erklärte sie verdrossen.
    Dennoch starb sie zehn Jahre später an der gleichen Krankheit wie ihr Bruder.
    Als ich nach Nantes zurückkehrte, um meine Sachen zu holen, weil nun für mich ein neues Leben begann, suchte ich erst nach langem Zögern einen meiner Professoren in seiner Privatpraxis auf und bat ihn, mich zu untersuchen.
    »Keine Gefahr

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