Maigret - 70 - Maigret und der Messerstecher
Verteidigung von professionellen Ganoven spezialisiert. Er war sehr gebildet, und als Musik- und Theaterliebhaber fehlte er bei keiner Generalprobe und bei keinem großen Konzert, was ihm wiederum Zugang zu den oberen Zehntausend verschafft hatte.
»Können wir nun hineingehen? Worauf warten wir noch?«
»Das weiß ich nicht«, antwortete Maigret mit ironischem Unterton.
Der kleine Mann mit den breiten Schultern klopfte an, öffnete die Tür und bedeutete dem Kommissar, mit ihm hineinzugehen.
»Einen schönen guten Tag, Herr Richter … Ich hoffe, es kommt Ihnen nicht allzu ungelegen, wenn ich mich dazugeselle … Meine Mandanten …«
Der Richter gab erst ihm, dann Maigret die Hand.
»Nehmen Sie Platz, meine Herren. Ich lasse die Untersuchungshäftlinge hereinführen. Ich nehme an, Sie haben keine Angst vor ihnen, so dass ich die Polizisten draußen lassen kann?«
Er ließ ihnen die Handschellen abnehmen. Das nicht sehr geräumige Büro war jetzt voll. Am einen Ende des Tisches, der dem Richter als Schreibtisch diente, saß der Gerichtsschreiber. Aus einer Abstellkammer musste ein zusätzlicher Stuhl herbeigeschafft werden. Die vier Männer saßen links und rechts von ihrem Anwalt. Maigret nahm ein wenig abseits Platz.
»Wie Sie wissen, Herr Rechtsanwalt, muss ich zunächst die Personalien der Tatverdächtigen feststellen … Bitte antworten Sie mit ›hier‹, wenn Sie aufgerufen werden. Julien Mila …«
»Hier.«
»Bitte Namen, Vornamen, derzeitiger Wohnsitz, Geburtsdatum und Geburtsort, Beruf.«
»Mila mit ›at‹ am Schluss?«, fragte der mitschreibende Protokollant.
»Nein, nur ›a‹.«
Die Prozedur dauerte eine ganze Weile. Demarle, der Mann mit der Narbe im Gesicht und der Statur eines Gewichthebers, war in Quimper in der Bretagne geboren. Er war früher Matrose gewesen und jetzt arbeitslos gemeldet.
»Ihre Anschrift?«
»Mal hier, mal da. Bei irgendeinem Kumpel komme ich immer unter.«
»Anders gesagt, Sie sind ohne festen Wohnsitz?«
»Mit dem, was man vom Arbeitsamt kriegt, wissen Sie …«
Der Vierte im Bunde, der Schmierensteher, war ein krank aussehender armer Schlucker, der als Beruf Botengänger angab und am Montmartre, in der Rue du Mont-Cenis, wohnte.
»Seit wann gehören Sie der Diebesbande an?«
»Pardon, Herr Richter«, schaltete sich Rechtsanwalt Huet ein, »erst müsste feststehen, dass es eine Diebesbande gibt.«
»Ich wollte Ihnen eben eine Frage dazu stellen, Herr Rechtsanwalt. Welchen von diesen vier Herren vertreten Sie?«
»Alle vier.«
»Glauben Sie nicht, dass das aufgrund unterschiedlicher Interessenlagen im Verlauf der Ermittlungen zu Konflikten führen wird?«
»Ich möchte es sehr bezweifeln, und sollte der Fall eintreten, würde ich einen Kollegen bitten … Sind Sie damit einverstanden, meine Herren?«
Die vier nickten.
»Und da wir schon bei diesen allgemeinen Fragen, um nicht zu sagen bei den ethischen Aspekten sind«, fuhr der Rechtsanwalt mit einem Lächeln fort, das nichts Gutes verhieß, »möchte ich Ihnen mitteilen, dass diese Angelegenheit seit heute früh in der Presse ein starkes Echo gefunden hat. Ich habe ziemlich viele Anrufe erhalten und dabei Erkenntnisse gewonnen, die mich erstaunt, wenn nicht sogar schockiert haben.«
Er warf den Kopf zurück und steckte sich eine Zigarette an. Angesichts dieses Staranwalts konnte der Richter eine gewisse Nervosität nicht unterdrücken.
»Bitte, Sie haben das Wort.«
»Die Festnahme ist nämlich nicht in einer Weise vor sich gegangen, wie sie in solchen Fällen üblich ist. Drei mit Funk ausgestattete Fahrzeuge, darunter ein Bus voller Beamter in Zivil, waren fast gleichzeitig mit meinen Mandanten an Ort und Stelle, so als ob die Polizei Bescheid gewusst hätte. Und angeführt wurde die Prozession vom hier anwesenden Kommissar Maigret mit zwei Mitarbeitern … Trifft das zu, Herr Kommissar?«
»Ja.«
»Wie ich sehe, hat sich mein Informant nicht geirrt.«
Wahrscheinlich war das jemand aus der Rue des Saussaies. Ein Angestellter, eine Stenotypistin?
»Ich bin immer davon ausgegangen und gehe auch jetzt noch davon aus, dass sich die Zuständigkeit des Quai des Orfèvres auf Paris beschränkt, meinetwegen Groß-Paris, wozu aber Jouy-en-Josas eindeutig nicht gehört …«
Er hatte erreicht, was er wollte. Er hatte das Heft an sich gerissen, und der Richter wusste nicht mehr, wie er ihn zum Schweigen bringen sollte.
»Lässt das nicht den Schluss zu, dass die Informationen bezüglich dieses …
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