Maigret - 70 - Maigret und der Messerstecher
blieb bei seiner Aussage: Erstens war er nicht beim Treffen an der Place de la Bastille gewesen, zweitens suchte er am Dienstagabend bloß eine Ecke zum Pennen, wie er sich ausdrückte.
»In einem unbewohnten Haus?«
»Nur, wenn die Tür offen ist … Im Haus oder in der Garage …«
Um sechs Uhr abends brachte ein Kastenwagen der Polizei die vier in die Rue des Saussaies zurück, wo sie die Nacht verbringen sollten.
»Grosjean? … Danke fürs Ausleihen … Ich habe nichts aus ihnen herausgebracht, nein … Das sind hartgesottene Burschen …«
»Sie sagen es! Der Einbruch vom Dienstag ist ein klarer Fall, weil sie auf frischer Tat ertappt wurden, aber die früheren Einbrüche … Wenn wir keine Beweise oder Zeugen finden …«
»Sie werden sehen, wenn sich die Zeitungen der Sache erst einmal richtig annehmen, kommen die Zeugen garantiert.«
»Glauben Sie immer noch, dass einer der vier den Mord in der Rue Popincourt begangen hat?«
»Offen gesagt, nein …«
»Haben Sie einen anderen Verdacht?«
»Nein.«
»Was haben Sie vor?«
»Abwarten …«
Maigret hatte sich nicht getäuscht. Schon die Abendzeitungen brachten in ihrer Spätausgabe einen Bericht über das Geschehen vor dem Zimmer des Untersuchungsrichters. Sie gaben auch die Erklärung wieder, die Maigret im Gebäude der Kriminalpolizei abgegeben hatte.
Ist er der Messerstecher von der Rue Popincourt?
Unter dieser Schlagzeile sah man das Foto von Yvon Demarle in Handschellen, wie er vor der Tür des Untersuchungsrichters stand.
Maigret suchte im Telefonbuch die Nummer der Wohnung am Quai d’Anjou und wählte sie.
»Wer ist am Apparat, bitte?«
»Der Diener von Monsieur Batille.«
»Ist Monsieur Batille schon zu Hause?«
»Nein, noch nicht. Ich glaube, er hatte noch einen Arzttermin.«
»Hier Kommissar Maigret … Wann findet die Beerdigung statt?«
»Morgen um zehn Uhr.«
»Besten Dank.«
Endlich! Für Maigret war Feierabend. Er rief seine Frau an, um ihr zu sagen, dass er zum Essen nach Hause komme.
»Und nachher gehen wir ins Kino«, fügte er hinzu.
Er wollte auf andere Gedanken kommen.
5
Maigret hatte vorsichtshalber den jungen Lapointe mitgenommen. Beide standen sie nun am Seine-Ufer in der Menge, allerdings nicht direkt vor dem Haus der Trauerfamilie, sondern vor dem Nachbarhaus, da sie wegen der vielen Schaulustigen keinen besseren Platz gefunden hatten.
An den Quais, vom Pont Louis-Philippe bis zum Pont Sully, stand ein Auto am anderen, viele von ihnen Luxuslimousinen mit Fahrer. Auch auf der anderen Seite des Wassers, am Quai de Béthune und am Quai d’Orléans, war alles vollgeparkt.
Der Morgen war fast winterlich kalt, sehr klar, sehr heiter, mit vielen Pastelltönen.
Immer wieder hielten Wagen vor dem großen, schwarzumflorten Tor. Menschen stiegen aus, gingen ins Haus, um sich vor dem Sarg zu verbeugen, erschienen wieder und warteten draußen, um sich in den Trauerzug einzureihen.
Ein rothaariger Fotograf ging barhäuptig umher und richtete sein Objektiv bald auf diese, bald auf jene Gruppe in der Zuschauermenge. Er stieß damit auf einigen Unmut, und manche sagten ihm unverblümt ihre Meinung.
Er machte jedoch unbeirrt weiter. Das Publikum, vor allem der Teil, dem es missfiel, wäre wohl nie auf den Gedanken gekommen, dass der Mann nicht für eine Zeitung, Bildagentur oder Illustrierte arbeitete, sondern im Auftrag Maigrets.
Dieser nämlich war am Morgen gleich ins Labor des Erkennungsdienstes gegangen, hatte sich dort mit Moers beraten und sich darauf hin für Van Hamme, den besten und einfallsreichsten der verfügbaren Fotografen, entschieden.
»Ich möchte Aufnahmen von allen Zuschauern, zuerst vor dem Haus der Trauerfamilie, dann vor der Kirche, wenn der Sarg hineingetragen wird, und schließlich auf dem Friedhof.
Wenn ihr die Bilder entwickelt habt, schaut sie euch mit der Lupe an. Es kann sein, dass eine oder mehrere Personen an allen drei Orten stehen. Und genau die interessieren mich, die will ich herausvergrößert haben.«
Unwillkürlich suchten Maigrets Augen nach einem hellen Regenmantel mit Gürtel und einem dunklen Hut. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Mörder wieder dieselbe Kleidung trug, war gering, denn sämtliche Morgenzeitungen hatten diese beschrieben. Die beiden Fälle, der Mord in der Rue Popincourt und der Einbruch in die Villa, wurden jetzt in direkten Zusammenhang gebracht.
Es wurde ausführlich über die Rolle der Kriminalpolizei und über die Verhöre am Vortag berichtet,
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