Maigret bei den Flamen
Beweis, daß Germaine Piedbœuf ermordet wurde.«
Allein Marguerite stieß einen leisen, verängstigten Schrei aus, einen spitzen Jungmädchenschrei, wie man ihn sonst nur im Theater hört.
»Wie schrecklich!«
»Man hat mir davon erzählt, aber ich wollte es nicht glauben«, sagte Anna. »Das wird unsere Lage noch schwieriger machen, nicht wahr?«
»Oder einfacher! Vor allem, wenn ich beweisen kann, daß Ihr Bruder am 3 . Januar nicht in Givet war.«
»Warum?«
»Weil Germaine Piedbœuf mit einem Hammer erschlagen wurde.«
»Mein Gott! Sprechen Sie nicht weiter!«
Es war Marguerite, die kreidebleich aufstand und in Ohnmacht zu fallen drohte.
»Ich habe den Hammer in meiner Tasche.«
»Nein! Ich flehe Sie an, zeigen Sie ihn nicht!«
Anna hingegen blieb ganz ruhig. Sie wandte sich ihrem Bruder zu und fragte:
»Ist dein Freund zurückgekommen?«
»Ja, gestern.«
Dem Kommissar erklärte sie:
»Das ist der Kommilitone, mit dem er den Abend des 3 . Januar in einem Café in Nancy verbracht hat … Er war vor knapp zwei Wochen nach Marseille gefahren, weil seine Mutter gestorben war. Jetzt ist er zurück …«
»Auf Ihr Wohl!« erwiderte Maigret und leerte sein Glas.
Dann nahm er die Flasche und goß sich erneut ein. Von Zeit zu Zeit läutete die Ladenglocke. Oder man hö r te das Geräusch einer kleinen Schaufel, die Zucker in eine Papiertüte schüttete, und das Aufsetzen der Waa g schale.
»Geht es Ihrer Schwester noch nicht besser?«
»Man hofft, daß sie am Montag oder Dienstag wieder aufstehen kann. Aber sie wird wahrscheinlich noch ein i ge Zeit lang nicht herkommen können.«
»Hat sie vor, zu heiraten?«
»Nein. Sie will Nonne werden. Das schwebt ihr schon seit langem vor.«
Woran erkannte Maigret, daß irgend etwas im Laden vor sich ging? Die Geräusche waren die gleichen, vie l leicht weniger laut. Einen Augenblick später hörte man Madame Peeters französisch sprechen.
»Sie sind im Eßzimmer …«
Türen, die geöffnet und wieder geschlossen wurden. Inspektor Machère, der auf der Schwelle stehenblieb. Er war ziemlich aufgeregt, bemühte sich aber, ruhig zu bleiben, und sah den Kommissar an, der vor seinem Genever saß.
»Was gibt es, Machère?«
»Der … Ich … Kann ich Sie kurz unter vier Augen sprechen?«
»Um was geht’s?«
»Um …«
Er wollte nicht mit der Sprache heraus und versuchte, Maigret heimlich Zeichen zu geben, die aber jeder im Raum sah und verstand.
»Genier dich nicht.«
»Es geht um den Schiffer …«
»Ist er zurückgekommen?«
»Nein. Er …«
»Hat er gestanden?«
Machère saß wie auf heißen Kohlen. Er war gekommen, um Maigret etwas mitzuteilen, das er als äußerst wichtig und streng vertraulich ansah, und nun zwang man ihn, vor drei Personen zu sprechen!
»Er … Man hat seine Mütze und seine Jacke gefunden …«
»Die alte oder die neue?«
»Wie bitte?«
»Hat man seine Sonntagsjacke gefunden, die aus blauem Stoff?«
»Aus blauem Stoff, ja. Am Ufer …«
Alle schwiegen. Anna stand neben dem Tisch und betrachtete den Inspektor, ohne daß ihr Gesicht auch nur die geringste Regung verriet. Joseph Peeters rieb sich nervös die Hände.
»Fahr fort!«
»Er muß sich in die Maas gestürzt haben. Seine Mütze hat man in der Nähe des Kahns aus dem Wasser g e fischt, der hinter seinem Schiff festgemacht hatte. Sie ist an dem Kahn hängengeblieben, verstehen Sie?«
»Und weiter?«
»Die Jacke ist am Ufer gefunden worden. Und dieser Zettel hier war mit einer Nadel angeheftet …«
Er zog ihn vorsichtig aus seiner Brieftasche. Es war ein Papierfetzen, den der Regen völlig durchnäßt hatte. Mit Mühe konnte man noch entziffern:
» Ich bin ein elender Schweinehund. Lieber gehe ich in den Fluß …«
Maigret hatte halblaut mitgelesen. Joseph Peeters fragte mit unsicherer Stimme:
»Ich verstehe nicht … Was will er damit sagen?«
Machère blieb stehen. Er fühlte sich ratlos und unbehaglich. Marguerite blickte nacheinander jeden im Raum mit ihren großen ausdruckslosen Augen an.
»Ich glaube, Sie sollten jetzt …« begann der Inspektor.
Maigret erhob sich mit einem wohlwollenden Lächeln. Er wandte sich vor allem an Anna.
»Sehen Sie, ich hatte eben von einem Hammer gesprochen …«
»So schweigen Sie doch!« beschwor ihn Marguerite.
»Was werden Sie morgen nachmittag machen?«
»Wie jeden Sonntag … Wir bleiben im Kreis der Familie. Nur Maria wird fehlen.«
»Erlauben Sie, daß ich Ihnen dann noch einen Besuch abstatte? Vielleicht
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