Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Maigret und das Schattenspiel

Maigret und das Schattenspiel

Titel: Maigret und das Schattenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
hingekritzelt.
    Er hatte den Umschlag nicht verschlossen! Er hatte das Ganze in seine Schublade gelegt und es auf einen späteren Zeitpunkt verschoben, das Testament den Formvorschriften entsprechend aufzusetzen.
    Das war vor zwei Wochen gewesen.
    »Sicher ist Ihnen aufgefallen«, sagte der Oberst, »daß dieses Testament eine echte Ungeheuerlichkeit enthält. Couchet hat schlicht vergessen, seinen Sohn zu erwähnen! Allein dieses Detail genügt, um die Verfügung null und nichtig zu machen, und …«
    »Kennen Sie Roger?«
    »Ich? Nein …«
    Und Maigret lächelte immer noch.
    »Aber wie ich eben sagte: wenn ich Sie hergebeten habe, so deshalb, weil …«
    »Kennen Sie Nine Moinard?«
    Der Unglückliche fuhr hoch wie von der Tarantel gestochen.
    »Ich lege keinen Wert auf eine solche Bekanntschaft! Allein diese Adresse: Rue Pigalle! Ich brauche wohl nicht deutlicher zu werden … Aber was wollte ich eben sagen? … Ach ja! Haben Sie das Datum des Testaments bemerkt? Es ist erst wenige Tage alt! Und zwei Wochen, nachdem er es geschrieben hatte, war Couchet tot. Ermordet! Nehmen Sie einmal an, eine dieser beiden Frauen, die darin aufgeführt sind, hätte dieses Testament gekannt! Und ich habe allen Grund zu glauben, daß sie nicht gerade reich sind …«
    »Wieso zwei Frauen?«
    »Wie meinen?«
    »Drei Frauen! Das Testament spricht von drei Frauen! Die drei Frauen Couchets, wenn Sie so wollen!«
    Der Oberst glaubte schließlich, Maigret wolle sich einen Scherz erlauben.
    »Ich meine es ernst«, sagte er. »Vergessen Sie nicht, daß ein Toter hier im Hause ruht! Und daß die Zukunft mehrerer Personen auf dem Spiel steht!«
    Gewiß! Trotzdem hätte der Kommissar am liebsten laut gelacht. Aber er hätte selbst nicht sagen können, warum.
    »Ich danke Ihnen, daß Sie mich verständigt haben …«
    Der Oberst war verärgert. Er konnte sich auf dieses Verhalten eines so wichtigen Beamten wie Maigret keinen Reim machen.
    »Ich gehe davon aus, daß …«
    »Auf Wiedersehen, Herr Oberst. Meine Empfehlung an Madame Couchet …«
    Auf der Straße konnte Maigret es sich nicht verkneifen, zu knurren:
    »Donnerwetter, dieser Couchet!«
    Lapidar und ohne sich groß etwas dabei zu denken, bedachte er seine drei Frauen in seinem Testament! Einschließlich der ersten, die jetzt Madame Martin hieß und ihm ständig mit verächtlichem Blick über den Weg gelaufen war, wie ein wandelnder Vorwurf! Und einschließlich der tapferen kleinen Nine, die alles für ihn getan hatte, um ihn zu zerstreuen.
    Andererseits vergaß er, daß er einen Sohn hatte!
    Eine ganze Weile fragte sich Maigret, wem er die Nachricht zuerst überbringen sollte. Madame Martin, die gewiß aus dem Bett springen würde, wenn sie von ihrem Glück erführe? Oder Nine?
    »Aber noch haben sie das Geld nicht in der Tasche!«
    Das war eine Sache, die sich über Jahre hinziehen konnte! Man würde prozessieren! Und Madame Martin würde auf keinen Fall klein beigeben!
    »Immerhin war der Oberst ein Ehrenmann! Er hätte das Testament ebensogut verbrennen können, ohne daß irgend jemand davon erfahren hätte …«
    Und Maigret durchquerte zu Fuß und in bester Laune das Quartier de l’Europe. Eine bleiche Sonne erwärmte die Atmosphäre. Es lag etwas Fröhliches in der Luft.
    »Donnerwetter, dieser Couchet!«
    Im Hotel Pigalle ging er wortlos am Empfang vorbei und betrat den Aufzug. Wenige Augenblicke später klopfte er an Nines Tür. Im Zimmer hörte man Schritte. Die Tür wurde einen Spaltbreit geöffnet, gerade genug, daß eine Hand hindurchfassen konnte, die ausgestreckt in der Luft verharrte.
    Die faltige Hand einer alten Frau. Da Maigret sich nicht rührte, wurde die Hand ungeduldig, und statt ihrer zeigte sich das Gesicht einer alten Engländerin in der Tür, die einen unverständlichen Wortschwall von sich gab.
    Maigret erriet jedenfalls, daß die Engländerin ihre Post erwartet hatte, was ihre Geste erklärte. Und es war klar, daß Nine nicht mehr in ihrem Zimmer und wahrscheinlich auch nicht mehr in diesem Hotel wohnte.
    »Zu teuer für sie!« dachte er.
    Er blieb zögernd vor der Nachbartür stehen. Ein Hoteldiener nahm ihm die Entscheidung ab, indem er ihn mißtrauisch fragte: »Was suchen Sie?«
    »Monsieur Couchet …«
    »Ist er nicht da?«
    »Ich habe noch nicht geklopft.«
    Und Maigret lächelte immer noch. Er war gut gelaunt. An diesem Morgen war ihm, als spielte er in einer Farce mit! Das ganze Leben war eine Farce! Der Tod Couchets war eine Farce, und vor

Weitere Kostenlose Bücher