Make it count - Gefühlsbeben (German Edition)
die Beifahrertür geht nur von innen auf, aber das ist mir egal. Er fährt und ist „nur” ein Auto – das ist das Einzige, was zählt.
Claires Abwesenheit hat allerdings den Vorteil, dass ich ungestört die kleine Kiste unter meinem Bett hervorziehen kann. Ein Schuhkarton, der von einer Staubschicht bedeckt ist. Ein Indiz dafür, wie lange er schon unbeachtet da unten gelegen hat. Ich greife nach dem blauen Hefter von meinem Schreibtisch, suche die Zeitungsartikel über meine vergangenen Erfolge und drehe mich wieder zum Karton. Zögernd nehme ich den Deckel ab. Ein alter Schlüsselanhänger der Oceanside High, ein Stück Papier, das meine Startnummer bei der letzten Meisterschaft zeigt, einige Fotos von Simon und mir, ein Brief von Jimmy, Muscheln und Steine, die wir am Strand gesammelt haben. Erinnerungen …
In der Mitte des Zimmers nehme ich auf dem Fußboden Platz und lege die Zeitungsartikel sowie den Volvo-Schlüssel dazu. Es ist unfair zu glauben, man könnte einen Menschen wie Simon in einen Schuhkarton sperren. Zu schnell würde er sich unwohl fühlen. Zu lange habe ich ihm das schon angetan. Weil ich egoistisch war und dachte, so lange ich mich an ihn festklammere, so lange bleibt er bei mir, und ich vergesse ihn nicht. Weil ich ihn gebraucht habe. Weil er die perfekte Entschuldigung war.
Jareds Worte hallen durch meinen Kopf: „ Manchmal tun Menschen, die uns sehr lieben, Dinge, die wir nicht verstehen können .”
Simon hat mich weggeschubst. Darüber, und über den plötzlichen, unsinnigen Tod meines besten Freundes, werde ich nie hinwegkommen. Die Lücke, die er in meinem Leben hinterlassen hat, kann ich nicht füllen. Aber ich kann versuchen, sie heilen zu lassen. Langsam. Jeden Tag ein bisschen mehr.
Eine Träne rollt über meine Wange, als ich den Deckel wieder auf den Karton setze und den Staub auf ihm wegwische. Niemals werden die Erinnerungen an ihn verstauben. Ich atme tief ein.
„Machs gut, Simon.”
Kapitel 14
„Ryan?”
Es überrascht mich sehr, Ryan, den ich als Mechaniker kennengelernt habe, hinter der Bar im Red Lion Pub zu sehen. Den Mann, den ich dort erwartet habe, finde ich auch beim zweiten Hinschauen im ganzen Laden nicht. Jared ist weit und breit nicht zu sehen. Dafür tummeln sich alle anderen üblichen Verdächtigen hier, als ich mit Claire ankomme. Ryan wirft ihr ein charmantes Lächeln zu, das Claire schnell ein auffälliges Rot ins Gesicht zaubert.
„Hey, Lynn! Was kann ich euch bringen?”
Es ist ein netter Versuch, über das Offensichtliche hinwegzutäuschen. Er lächelt mich freundlich an und greift nach einem Glas.
„Wo ist Jared?”
Mir ist nicht nach albernem Smalltalk oder gespielten Freundlichkeiten. Die Bestellung kann er auch dann aufnehmen, wenn ich weiß, wo ich ihn finde. Meine Anrufe hat Jared nicht angenommen und seine Mailbox vermutlich nicht mal abgehört. Das muss man nicht überbewerten, ich tue es dennoch. Ryan stellt das Glas vor mich hin und füllt ungebeten ein bisschen Whiskey ein. Ich trinke keinen Whiskey.
„Er kommt etwas später.”
Ryans Lächeln ist charmant und beruhigend. Es wirkt allerdings so, als hätte er es für diesen Moment einstudiert. Es soll vor allem eines: ablenken.
„Okay. Woher weißt du das?”
Sorge und Wut sind zwei sehr ähnliche Gefühle; noch fällt es mir schwer zu entscheiden, welches davon von mir Besitz ergreifen will. Ryan nickt auf das Schnapsglas vor mir. Er versucht zu retten, was noch zu retten ist.
„Jared hat mich darum gebeten, für ihn einzuspringen, bis er auftaucht.”
Dabei zuckt er die Schultern als wäre es keine große Sache. Ich will ihm zustimmen. Es ist keine große Sache. Es ist nur verwirrend.
„Das ist ja merkwürdig … auf meine Anrufe hat er nicht reagiert.”
„Lynn, ich weiß, du machst dir jetzt Gedanken. Aber Jared wird bestimmt alles erklären können.”
„Ryan, wenn du weißt, was los ist, dann sag es mir bitte.”
Seine braunen Augen sehen mich offen und ehrlich an. Ja, er weiß was los ist – und nein, er wird es mir nicht sagen. Weil die Loyalität zu seinem Freund größer ist, als das Vertrauen in mich. Das trifft auf beide Männer zu. Jared hat es Ryan also erzählt, kann aber keine Nachricht schicken und auch nicht erklären, was los ist.
„Geht es ihm gut?”
„Nicht besonders.”
„Wieso kann er es mir nicht sagen?”
Ein Kerl am anderen Ende der Bar verlangt nach Ryans Aufmerksamkeit, was ich nicht zulassen werde. Ich greife
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