Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)
So lag Papa in der Erde. Wegen mir. Fraß für die Würmer. Asseln im
Haar. Maden in den leeren Augenhöhlen. Schimmel auf der kalten, verbrannten
Haut. Aufgebläht.
Ich muss an was Schönes denken. An
Bettina. Aber was passiert da draußen mit ihr? Zip und seine Jungs sind doch
völlig irre! Mein Herz beginnt zu pochen. Ich atme flach und schnell. Zu
schnell. Ich friere und schwitze. So eng hier. Zu eng. Das Flackern in der
Dunkelheit manifestiert sich. Die Bestie hockt auf meiner Brust. Ihre Tentakeln
zucken. All ihre Augen fixieren mich. Schon springt sie mir an die Kehle. Sie trinkt
von mir.
Fühlt sich so sterben an? Ich kann
nicht schreien, nicht strampeln, nicht um mich schlagen. Mein Blut fließt
schwer und dick wie Öl durch meine Adern. Mein Körper ist ein Sack voll
Schleim, in dem die Brut der Bestie Unterschlupf findet. Wo es feucht ist und
warm. Ich nähre sie an meinen Zitzen. Sie saugen mich leer, bis auf den letzten
Tropfen. Bis meine Augen aus dem Schädel rollen, zu Staub zerfallen, und ich
mich auflöse in gnadenvolles Nichts.
Ich verpuppe mich, kneife die Augen
ganz fest zu und summe die Titelmusik von Rocky . Keine Ahnung, warum
gerade die mir jetzt in den Sinn kommt.
Die Bestie hält inne. Ihr Griff
lässt nach. Gierig sauge ich die Luft ein. Sie schnuppert an mir, will durch
meinen Bauchnabel in mich eindringen. Ich summe weiter. Sie versucht, durch
mein Ohr in meinen Kopf zu kriechen. Lange halte ich das nicht mehr aus.
Tausend kleine Zungen lecken über mein Gesicht. Raue Zungen. Wie von Katzen.
Katzenbabys, mit denen ich auf der Wiese herumtolle. Aber dann fallen ihnen die
süßen Gesichter ab wie Masken. Sie sind die Brut! Zahnbewehrte, runde Mäuler.
Kloaken. Ich schreie und schlage wild um mich. Ein Spalt Licht, das Dunkel
weicht. Dann sehe ich Bettina und Josch.
Die See ist ruhig. Möwen kreisen
über dem Schiff. Ich schmecke das Salz auf meinen Lippen. Der Fährhafen von
Calais liegt erst ein kurzes Stück hinter uns. Ein unübersichtliches
Sammelsurium aus Straßen, Parkplätzen und Containern.
Hier an Deck tummeln sich zahllose
Leute in Windjacken. Ich friere in meinem dünnen Jackett. Bettina friert auch,
darum gebe ich es ihr. Es ist ihr zu groß, die Ärmel baumeln lang an ihr herab.
Süß sieht sie aus.
„Was war denn mit uns los?“, sagt
sie kopfschüttelnd.
„War doch eigentlich ganz lustig“,
entgegne ich.
Wie sie mich anschaut. Nein? Okay.
Ich stelle mich an die Reling und
schaue übers Wasser. Alle haben meinen Ausraster im Bus mitbekommen, aber
keiner hat danach gefragt. Bettina umarmt mich von hinten, drückt sich ganz
fest an mich. Wie warm sie ist. Ich sorge mich um sie, bin verwirrt und
erschöpft. Das letzte Kapitel unserer Reise steht unmittelbar bevor.
Zip und die Jungs kommen. So wie es
aussieht, haben sie den Imbiss leer gekauft. Ich habe auch Hunger, aber mir ist
schlecht. Josch und Aura sind im Bus geblieben. Da wäre ich jetzt auch gern.
Allein. Wie ein Käfer unter einem Stein.
Sandokan verschlingt etwas
Undefinierbares in Soße und zieht zwei Pirate Play Kits hervor. Er
befreit die Augenklappe aus der Verpackung, legt sie an, bewaffnet sich mit
einem Plastik-Krummsäbel und wirft mir den anderen zu. Ich fange ihn
reflexartig.
„Har!“
Er fordert mich zum Duell.
Das ist mir unangenehm, und ich
versuche, ihn freundlich lächelnd zu ignorieren. Bin nicht in der Stimmung.
„Har!“
Er schlägt gegen meinen Säbel, den
ich halbherzig hinhalte und hoffe, dass er so die Lust verliert.
Pustekuchen! Er zieht Bettina von
mir weg, hält ihr den Säbel an die Gurgel.
„Dein Mädchen gehört mir!“,
verkündet er mit rollendem R .
Die Leute gucken schon. Bettina
macht gute Miene zum bösen Spiel. Na gut, er hat es so gewollt. Ich stelle mich
in Fechterposition:
„En garde!“
Wir dreschen lachend aufeinander
ein. Möglich, dass sich ein paar Leute gestört fühlen. Die sollen sich doch
verpissen! Die meisten Gesichter, die ich am Rande meines Bewusstseins
registriere, lächeln. Ich dränge Sandokan zurück. Er lehnt sich über die
Reling. Ich führe gnadenlos Hieb um Hieb. Doch plötzlich taucht dieses
Schlitzohr unter meinem Säbel hindurch und erwischt mich voll.
„Eine Bauchwunde“, klage ich, falle
auf die Knie und lasse den Säbel fallen. „Das schmerzhafte, langsame Ende durch
Verbluten.“
Ich flehe ihn an, mich zu erlösen,
als Josch auftaucht.
„Können wir reden?“, fragt er,
völlig unbeeindruckt davon, dass ich gerade
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