Mala Vita
Obwohl die Fahrt kaum zwanzig Minuten dauerte, kam sie ihm vor wie eine Ewigkeit. Der Inhalt des Aktenkoffers brannte ihm unter den Nägeln. Sollte Rosanna die Unterlagen verlangen, würde er ihr die Kopie geben. Sie konnte nicht wissen, dass er das Original nach Rom geschickt hatte. Vermutlich würde sie ihn auch nicht danach fragen.
Nachdem er das Taxi verlassen hatte, begab er sich mit energischen Schritten in das Foyer des Hotels. Erleichtert nahm er an der Rezeption zur Kenntnis, dass Signora Lorano, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, vor kurzem das Ressort verlassen hatte. Ihm bot sich die Gelegenheit, rasch seinen Koffer zu packen. Wenn er sich beeilte, konnte er in einer Stunde am Flughafen sein und möglichst rasch einen Flug buchen. Es musste ihm gelingen, schnellstens Antigua zu verlassen.
Er öffnete die Tür zur Suite und starrte perplex die beiden Männer an, die in seinem Zimmer saßen und ihn interessiert musterten. Sofort erkannte er die Gestalten wieder, die ihm auf der Straße vor dem Coffee Shop aufgefallen waren.
»Was haben Sie in meinem Zimmer zu suchen?«, schnauzte er die beiden ungehalten an.
»Calmo, calmo!«,
erwiderte der Kleinere, ein muskulöser Kerl mit Pferdeschwanz und Designeranzug.
»Und mach die Tür hinter dir zu!«, ergänzte der Zweite, ein unangenehmer Typ mit arrogantem Gesichtsausdruck. Der Sprache nach mussten sie Sizilianer sein.
»Wie kommen Sie hier überhaupt herein?«, fragte Cardone empört.
»Wir sind Freunde von Perlaquale«, meinte der Pferdeschwanz. »Nicht wahr, Ruffo?«
»Genau! Und du bist Cardone, das kleine Arschloch aus Bologna«, erwiderte der Angesprochene in Richtung Cardone.
Der fühlte, wie sich ein eiserner Ring um seine Brust legte. Stocksteif stand er im Türrahmen und wagte sich nicht zu bewegen. Die schiere Angst lähmte seine Gedanken. »Perlaquale?«, brachte er mühsam über die Lippen. Aber er spürte sofort, dass die beiden kaum auf seine gespielte Unwissenheit hereinfallen würden.
»Hilf ihm, das Loch zuzumachen!«, befahl der Zweite dem Pferdeschwanz, der wie ein Gummiball hochschoss, Cardone an der Schulter ins Zimmer stieß und die Zimmertür hinter ihm zuschlug. »Perlaquale ist ein Spitzname. Den gibt man in Sizilien jemandem, der seine Aufträge immer schnell, geräuschlos und sauber erledigt.«
»Und weshalb erzählen Sie mir das?«, begehrte Cardone auf. Jede Hoffnung, dass die beiden wieder verschwinden würden, hatte er aufgegeben. Panisch irrte sein Blick durchs Zimmer und suchte einen Ausweg.
»Wie man hört, bist du ein schwerreicher Mann, Cardone. Wie fühlt man sich als Millionär?«, meinte der Mann, der von dem Pferdeschwanz Ruffo genannt wurde.
»Dämliche Frage!«, stieß Cardone hervor. »Das Geld habe ich nicht mehr.«
»Ach was!«, antwortete der Pferdeschwanz. »Wenn du es nicht mehr hast, wer hat es dann? Vielleicht Rosanna?«
Cardone sah die zwei Eindringlinge verblüfft an. »Rosanna?« Das Stichwort war geradezu eine Steilvorlage, die ihm dieser Ganove soeben gegeben hatte.
Die beiden Kerle arbeiteten mit ihr zusammen, das stand für ihn fest. Sollte Rosanna auftauchen, bekäme sie einige Schwierigkeiten.
»Ja! Die schöne Rosanna!«, bestätigte Ruffo und wandte sich an seinen Kumpan. »Wir hatten leider noch nicht das persönliche Vergnügen. Aber was nicht ist, kann noch werden.«
Cardone wollte ursprünglich den beiden begreiflich machen, dass er das Geld nicht angerührt, sondern sofort auf das ursprüngliche Konto zurücküberwiesen habe. Doch jetzt entdeckte er die Pistole im Schulterhalfter dieses einen Sizilianers, deren Knauf aus dem offenen Jackett herausragte. Hatte er bis vor wenigen Sekunden noch angenommen, dass vor ihm Ganoven saßen, die hinter den Millionen her waren, so hatten sie ihn nun eines Besseren belehrt. Vor ihm saßen Mörder! Intuitiv sagte er: »Ich habe Rosanna die Kontovollmacht über dreihundertzweiundachtzig Millionen erteilt.« Er hatte in seine Stimme alle Überzeugungskraft gelegt, zu der er fähig war, und beobachtete jetzt, ohne eine Miene zu verziehen, die Wirkung seiner Worte.
»Tatsächlich?«, erwiderte der Pferdeschwanz höhnisch.
»Ja! Tatsächlich! Ob Sie auf sie warten wollen, ist Ihre Sache. Ich glaube allerdings nicht, dass sie hier wiederauftaucht – wenn sie so viel Geld hat.«
Ruffo sprang wie von einer Schleuder abgeschossen aus dem Sessel. »Was sagst du da?«
»Ich habe gesagt, Rosanna hat inzwischen das Geld, und ich vermute deshalb,
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