Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)
Spielen verloren. Gespielt hatte er ohne Leidenschaft. Ein paar belanglose Bekanntschaften hatte er gemacht, die er schon wieder vergessen hatte. Etwas Aufregendes hatte er nicht erlebt, deshalb hatte er es kaum erwarten können, Asien zu verlassen und nach Amerika zu fliegen. Amerika war vielleicht etwas durchschaubarer. Kalifornien war seine letzte Chance. Letzten August hatte er in Brüssel ein Paar kennengelernt, bei dem er hoffentlich wohnen konnte. Nach ein paar Kriek hatte man sich Freundschaft geschworen und in diesem Hochgefühl Adressen ausgetauscht – das Übliche eben. Doch eine innere Stimme sagte ihm, dass in Los Angeles vermutlich niemand auf ihn wartete.
Überdies musste David zugeben, dass sein Liebesunglück an seiner überstürzten Abreise einen nicht unbeträchtlichen Anteil hatte. Er hatte Brüssel nicht wegen einer Frau verlassen, sondern wegen aller Frauen. Drei Jahre ohne Sex und Liebe hatten ihn zutiefst verbittern lassen, und Frauen zählten für ihn nun zum feindlichen Lager. Er sah alle in einer und eine in allen. Sie hatten alle die gleichen Fehler, verfolgten alle die gleichen Ziele, die mit den seinen absolut nicht übereinstimmten. Die schlimmsten frauenfeindlichen Klischees machte er sich zu eigen und bediente sich dabei auch noch gerne literarischer Vorbilder. Er glaubte, dass man das weibliche Geschlecht mit ein paar Adjektiven erschöpfend umschreiben konnte, und übernahm bedenkenlos alle Urteile, die je über Frauen gefällt worden waren. Ob es sich mit den Frauen am anderen Ende der Welt genauso verhielt? Um das herauszufinden, hatte er wohl unbewusst diese Reise geplant. Die Antwort stand allerdings schon fest, bevor er überhaupt einer einzigen Frau begegnete.
Sein Flieger würde mit drei bis vier Stunden Verspätung abfliegen, das hatte ihm die einzige Mitarbeiterin der amerikanischen Fluglinie bereits mitgeteilt. In übelster Laune legte er sich in eine Ecke der Abflughalle, den Kopf auf seinen Rucksack gebettet. Wenn er doch nur etwas zu lesen hätte. Einen Roman, ein Magazin oder vielleicht irgendeinen Prospekt auf Französisch; irgendetwas, um sich die Zeit zu vertreiben. Als er seine Sachen gepackt hatte, um auf Weltreise zu gehen, waren Bücher kein Thema gewesen. Er wollte nicht lesen, sondern schreiben, und zwar ein Reisetagebuch, zwei bis drei Seiten pro Tag. Alles Erlebte wollte er sofort schriftlich festhalten. Doch dann zerfranste er sich in seiner Suche nach dem Unbekannten und verlor leider auch den Spaß an dem Spiel. Vier Tage hatte er Tagebuch geführt, der letzte Eintrag vom 17. Juni bestand nur aus einem Absatz.
Müde aufgewacht. Eine riesige Kakerlake läuft über den Boden, auf dem ich liege. Habe mich in ein Laken eingewickelt. Man hat mir geraten, keine Insekten zu töten. Ich käme sonst zu nichts anderem mehr. Am besten ignoriere ich sie. Den Ventilator lasse ich ausgeschaltet. Ich habe Angst, mich zu erkälten. Das fehlte noch bei der Hitze. Das Mädchen von der Wäscherei kommt anscheinend jeden Dienstag vorbei. Wo werde ich nächsten Dienstag sein? Ich sollte mir die Stadt ansehen. Sonst glaubt mir zu Hause niemand, dass ich hier war.
Unter einer Sitzreihe entdeckte er einen Haufen zerknülltes Zeitungspapier. Schwarze und weiße Kästchen stachen ihm ins Auge: ein Kreuzworträtsel, das erkannte er sofort. Ein seltsames Druckerzeugnis, diese Gazette de Jules-Vallès, warum sie wohl auf dem Boden gelandet war? Doch das war David Moëns mit einem Mal ziemlich egal, als er merkte, dass es sich um eine Zeitung aus Frankreich handelte. Endlich wieder etwas in seiner Muttersprache lesen zu können war doch die Gelegenheit, sein eingerostetes Gehirn wieder auf Vordermann zu bringen. Es gab Texte, Bilderrätsel, Zeichnungen – alles wunderbarer Zeitvertreib! Als Erstes stürzte er sich voller Tatendrang auf das Kreuzworträtsel.
*
Hoch über dem Ozean, den er nicht sah – denn es war dunkel, und außerdem hatte er keinen Fensterplatz –, schloss David mit sich und der Welt Frieden. Im Bauch des Flugzeugs fühlte er sich geborgen. Alles hier oben erschien ihm erlesen und edel: das Lächeln der Flugbegleiterinnen, die gekühlten Getränke, die Erfrischungstücher, das Belüftungssystem, die sauren Drops. Endlich fühlte er sich wieder sicher; ohne abgelenkt zu werden, konnte er sich dem Kreuzworträtsel widmen, das ihn vor keine großen Schwierigkeiten stellte.
Hatten doch die jugendlichen Rätselmacher weder an schwarzen Kästchen gespart noch
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