Malchatun
die sie war. So völlig aufgegangen war sie in ihres Gatten Edebali Würde, daß sie ihre eigene Lage als Stiefmutter Malchatuns und Schwiegermutter des großen Beys niemals erheiternd empfunden hatte, und Osman versäumte denn auch nie, ihr stets alle Ehrerbietung zu erweisen, auf die sie Anspruch erhob. Nicht nur in ihren eigenen Augen war sie nach dem Beispiel der Frauen des Propheten eine Mutter der Gläubigen.
Jetzt waren die Männer allein.
»Glaube nicht, mein Vater«, begann Osman nach einer Pause, »daß ich die Meinung deiner Tochter geringachte. Aber ist es unrecht, wenn ich einen Abtrünnigen strafe?«
»Wer ist abtrünnig?«
»Kir Michael.«
»Was tat er dir?«
»Er nahm meinen Feind in sein Haus.«
»Das tat er nicht«, erklärte Edebali. »Einen Verwundeten, Schutzflehenden nahm er auf. - Lies den Koran, mein Sohn, und du wirst finden, daß der Prophet des Christen Tun gebilligt hätte.«
»Wenn ich Kir Joannes freilasse, werden sie sich in Zukunft alles gegen mich erlauben, die Mazaris, der Botoniates und die anderen«, grollte Osman.
»Sagte ich, daß du ihn freilassen solltest?«
»Ich verstand dich so, mein Vater!« erstaunte Osman mehr, als daß er sich freute; denn gegen Malchatun war ihm keine Bundesgenossenschaft willkommen, nicht einmal die des Edebali. »Ich soll das Urteil vollstrecken lassen?«
»Dadurch verlierst du einen Freund, der bisher nichts tat, als was Gott uns allen gebietet«, war des Hochwürdigen Antwort.
»Als Geisel soll ich den Joannes behalten? Meinst du das, mein Vater?«
Edebali wiegte bedächtig sein Haupt.
»Als Geisel? Gegen wen?« antwortete er mit einer Frage. »Glaubst du wirklich, daß die christlichen Herren wegen dieses jungen Menschen alle feindlichen Anschläge aufgeben? Denn du befürchtest doch Anschläge?«
»Ich habe Grund dazu!« bestätigte Osman.
Immer hatte er seine Sorgen hinter einem Gebaren von Zuversicht und selbst Übermut versteckt. Er wußte, wie leicht selbst ein geringfügiges Anzeichen von Schwäche die Feindseligen ermuntern und Lauen zum Abfallen reizen konnte. Während er nun aber vor seinem Schwiegervater die Lage umriß, wie sie sich im letzten Jahrzehnt gestaltet hatte, ließ er alle Rücksichten fallen.
Nicht um einen Schritt war Osman seit Verleihung des Tughs, des Roßschweifes, vorangekommen, wenn sein Amt und die Fürstenwürde auch immer noch die Hauptstützen seiner Stellung waren. Daß er sich in ihr hatte behaupten können, verdankte er nur der Vereinigung der Nomadenstämme unter seiner Führung und der der mosleminischen Herren in einem bündnisähnlichen Verhältnis zu ihm. Freilich war das allein schon ein großer Erfolg Osmans, wenn dieser Erfolg auch jeden Tag immer wieder neu errungen werden mußte.
Was aber würde nach einem etwaigen plötzlichen Tode Sultan Alaeddins sein? Von dessen Sohn hörte man Befremdliches, und der Bey von Kermian wäre dann jeder Rücksicht ledig und könne seinem Erbhaß aus Ertoghruls Zeiten gegen
Osman die Zügel schießen lassen. Im geheimen tat er ohnehin schon, was er nur Feindliches zu tun vermochte. Ein offnes Bündnis aber zwischen Kermian und den Christen wäre das Ende Osmans und zugleich das Ende des Islams in Bithynien.
Noch freilich regierte Alaeddin, und den herauszufordern würde der Bey von Kermian nicht wagen. Dennoch hatte nur zweierlei Osman bis jetzt vor einem Kampf auf Leben und Tod bewahrt: die Freundschaft mit den Asanes und die Verfeindung der übrigen christlichen Archonten untereinander.
»An Täbris dachtest du dabei nicht?« fragte Edebali. »Zwar ist Ilkhan Arghun abgefallen von der reinen Lehre. Doch der Islam ist immer noch mächtig in Persien wie je.«
»Es war Sultan Alaeddin, der Seldschuke, der mir den Tugh verlieh, mein Vater.«
»Ich verstehe und billige, mein Sohn«, entkleidete Edebali Osmans Treuebekenntnis jeder Großartigkeit, »ein guter Name kann zuweilen eine Schlacht gewinnen, und außerdem dürfte der Ilkhan für die Westgrenze kaum Truppen übrig haben. Aber wenn es so steht, ist Kir Michael doch äußerst wichtig für dich?«
»Du sagst es, mein Vater. Mag Michaels Macht auch gering sein - er ist ein Keil in der christlichen Front . . .«
». . . solange er treu ist, meinst du?« ergänzte der Scheich.
»Genau so lange. Ein unsicherer Freund aber ist gefährlicher als ein offener Feind.«
»Nicht immer. Ein Feind ist leicht zu bekommen. Durch die Hinrichtung seines Gastfreundes machst du aus Michael einen sicheren und
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