Malchatun
nicht nur die peinliche Erinnerung, die ihn, als er in die engen Gassen einritt, bedrückte. Wohl hatte Chalil die Einladung seines Vaters dem Archonten in höflichster Weise vorgetragen, doch war sie leider innerhalb eines Ringes von so vielen Waffenknechten der Tschendereli erfolgt, daß Kir Michael sie mit Rücksicht auf seine wenigen eigenen Begleiter hatte annehmen müssen. Als Gefangener fühlte Kir Michael sich, wenn auch beileibe kein Wort von Gefangenschaft gefallen war.
Verbissen dachte er daran, wie er jede nur denkbare Vorsicht angewandt habe, um eine Entdeckung zu vermeiden. Um nicht auf Osmans Leute zu stoßen, sei er den drei Pässen über Ermeni und Tumanidsch ausgewichen, habe er allein aus diesem Grunde den weiten Umweg nach Süden gemacht und sich auf der Hauptstraße nach Eskischehr schon völlig in Sicherheit gewähnt, um dann die schwere Enttäuschung zu erleben, daß sein Ritt keineswegs so geheim geblieben sei, wie er es gehofft habe.
Unablässig, doch ohne Erfolg arbeitete nun sein Hirn, aber er konnte nicht darauf kommen, wer von den Hochzeitsgästen wohl der Verräter gewesen sein möge. Keinem traute er es zu, und dennoch konnte jeder einzelne es gewesen sein. Doch vielleicht wisse man in Inöni auch gar nichts, und der Grund dieser nachdrücklichen Einladung sei ein ganz anderer, tröstete er sich mit jäh erwachender Hoffnung, um daraufhin um so tiefer in ein Grübeln zu versinken, dem ihn die Anwesenheit des jungen Chalil gewiß nicht entriß.
Jetzt klapperten die Hufe auf dem Pflaster des Burghofes, und fast froh war Kir Michael, daß die Ungewißheit nun bald ein Ende haben werde.
Schon erschien Herr Isa Tschendereli, der Schloßherr, ihn zu begrüßen.
Um seiner selbst willen, meinte der Burgherr nicht ohne mitschwingende Ironie, würde er nie gewagt haben, einem Mann wie Kir Michael, dem hochgelobten Freunde Osmans, den Aufenthalt in einem so bescheidenen Hause, wie es das von Inöni sei, zuzumuten. Aber eine sehr hohe Persönlichkeit, die er als Gast zu beherbergen ebenfalls die Ehre habe, sei so sehr von dem Wunsch nach einer Plauderstunde mit dem Herrn von Chirmendschik ergriffen, daß ihm, Isa Tschendereli, nichts anderes übriggeblieben sei, als zu gehorchen.
Worauf Kir Michael erklärte, daß diese Gelegenheit zu einem Besuch ihn unter allen Umständen glücklich mache, denn die Freunde seiner Freunde seien auch die seinen, und Herr Isa sei Osmans Freund wie er selbst.
Alles geschah somit der Schicklichkeit und dem Brauch gemäß, und während die beiden Herren über die Fliesen der Schloßgänge weiterschritten, schöpfte Kir Michael bereits wieder Hoffnung. Eine sehr hohe Persönlichkeit? Zweifellos sei Osman eine, aber in bezug auf den Bey würde der Tschendereli sich wohl nicht so ausgedrückt haben. Neben Osman aber wußte der Chirmendschiker weit und breit nur noch einen einzigen gleich vornehmen Mann: Kir Salmenikos. Dem freilich mußte ebenso wie ihm, Kir Michael selbst, daran liegen, unerkannt zu bleiben.
Salmenikos also! dachte Michael. Und das treffe sich gut, denn gerade an Salmenikos gehe sein Auftrag.
Schon immer hatte der Vielgeschäftige den Herrn von Biledschik für einen bedeutenden Mann gehalten. Nun jedoch erfüllte es ihn mit Bewunderung, daß der Asanes in Erwartung entscheidender Ereignisse seine Macht offensichtlich mit Osmans eigenen Bundesgenossen verstärken wolle. Anders konnte Michael sich des Salmenikos Anwesenheit in Inöni nicht erklären. Und als nun eine Tür sich öffnete, sah er auch in einem Raum, dem Wolfsfelle und Hirtenteppiche den Anschein von Wohnlichkeit zu geben versuchten, eine Gestalt am Feuer eines Kohlenbeckens, eines Tendurs.
»Nobilissimus, Euer Hochedlen . . .«, sagte er für alle Fälle mit einer tiefen Verneigung, mochte dem Archonten von Biledschik diese Anrede nun zukommen oder nicht.
Doch dann blieb dem Gewandten der Satz im Munde stecken. Die Gestalt erhob sich, die Pelze fielen von ihr ab, und vor Kir Michael stand eine Frau.
Malchatun stand da.
»Euer Hochedlen«, wiederholte Kir Michael seine Anrede mit größerem Recht . . .
»Nehmen Sie Platz«, unterbrach ihn jedoch Malchatun.
»Man bedeutete mir . . .«, stotterte er, »ich sollte . . .«
»Platz nehmen«, lächelte sie.
Vergebens blickte Kir Michael sich nach Hilfe um. Und Herr Isa sei kein redlicher Mann, ihn so einfach mit der Gefürchteten allein zu lassen! ergrimmte er. Viel lieber wäre er Osman begegnet. Mit dem getraute er sich - ob er
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