Malchatun
Ton, der Salmenikos überraschte. Mit unschicklich entblößtem Haupt, mit aufgeschlitztem Gewand, Gesicht und Hände zerrissen, stand der Fremde vor ihm. Die Lumpen mochte der Weg gemacht haben, aber dieses Kleid wäre auch heil das eines Armen gewesen. Dennoch sprach der Mann zu ihm wie zu seinesgleichen.
»Ich heiße Kumral«, erwiderte er des Salmenikos Blick, »meine Höhle habe ich am Olymp. Die Schrift gab mir Edebalis Tochter mit ihren eigenen Händen.«
»Du bist ein Sahid vom Olympos?«
»Ich bin Allahs Diener.«
»Ein Freund von Marula?«
»Ein Freund der Bedrängten, und Malchatun ist in Bedrängnis.«
Marula in Bedrängnis. Salmenikos setzte sich auf die Wandbank des schmalen Raumes, in dem er sich allein mit seinem Gast befand. Aus seinen Gelenken fühlte er die Sicherheit weichen - darum tat er das. »Wie kamst du herein?« fragte er.
»Mit der Verstärkung. Ich war mit der Herrin in Biledschik, und einige deiner Leute kannten mich.«
»Es ist gut. Erzähle. Zeit verlieren wir nicht. Denn wie es liier steht, hast du gesehen.«
Und Kumral erzählte:
Unabänderlich war Malchatuns Entschluß gewesen, zum angeblich erkrankten Salmenikos nach Seraidschik zu gehen; aber wenigstens hatte sie Biledschik mit all der Heimlichkeit verlassen, die Kumral notwendig erschienen war. An Stelle Malchatuns war das ertoghrulische Weib mit der Weisung zurückgeblieben, die Leute in Biledschik so lange wie möglich glauben zu lassen, daß Malchatun sich noch im Schlosse befinde, und um das Geheimnis ganz undurchdringlich zu machen, hatte Kumral sogar die ertoghrulischen Posten umgangen.
Auf Richtwegen abseits der großen Straße von Biledschik nach Eskischehr wandte er sich nun mit Malchatun dem Gebirge zu. Sie ritt ein Maultier, er schritt nebenher, und es war ein Reiten und Schreiten, das ein vermeintliches Knacken oder ein Blinken immer wieder unterbrach - es war ein Verharren im Dunkeln, ein Anschleichen und Sichern. Einmal gewahrten sie von unbekannten Reitern einen Trupp, den sie, selbst verborgen, vorüberließen; aber bei Kaldiralikbinari überraschte sie, immer noch im Biledschiker Gebiet, auf der Paßhöhe von Ermeni der Tag.
Da Kumral die Weiterreise bei schneidender Sonne verweigerte, nahm statt der Burg von Seraidschik ein dichtes Erlengebüsch die beiden auf. Hier mußte Malchatun in bitterer Ungeduld einen langen. Tag verharren, ehe der zeitraubende Abstieg auf dem schroffen Osthang begann. Vorsichtig näherten sie sich nach Mitternacht unweit Seraidschik der Landstraße beim Dorf Sindschirliköi ... es war der Ort des Überfalls.
»Wir wurden gejagt, Archont«, fuhr Kumral in seiner Erzählung fort.
»Von wem?«
»Von den Abtrünnigen des Abtrünnigen.«
Damit wußte Salmenikos, daß von Manuels Turkopolen die Rede sei. »Es waren ihrer sechs«, fuhr Kumral fort. »Die Hälfte hielt sich bei mir gar nicht erst auf, sondern setzte der Hanum nach. Und die andern drei . . .« - er zeigte auf seinen Stirnverband, ohne die Bluttaufe seines eigenen Schwertes zu erwähnen. »Aber dann kamen Osman, Ghundus und die andern«, schloß er.
Osman war vor Biledschik auf seinen Bruder Ghundus gestoßen. Auch er hatte den gefangenen Boten verhört und war dann mit allen Männern, die er hatte zusammenraffen können, auf der Straße nach Seraidschik gejagt. Erreicht hatte er Seraidschik allerdings nicht. Vor Sindschirliköi war er auf Manuels Streiftrupps gestoßen und schleunigst ausgewichen, Malchatun aber hatte er befreit.
Osman, immer wieder Osman! durchfuhr es Salmenikos.
»Wieviel Mann hat er bei sich?« fragte er.
Kumral schwieg.
Nun ja, man traue ihm nicht, nickte Salmenikos. Aber natürlich stehe Osman im Westen. Und einen Ausweg gebe es schon. Unmittelbar nach Manuels Abzug werde er, Salmenikos, Marula zu sich nach Jundhissar einholen. »Wenn du mir nicht traust, Kumral - wie soll ich die Herrin finden?«
»Du brauchst sie nicht zu finden - sie ist schon gefunden. Von Osman. Und du brauchst sie nicht zu holen - sie wird dir gebracht.«
»Und ich habe wieder Manuels Turkopolen auf dem Hals, wenn ihr euch erst bei mir in Jundhissar breitmacht.«
»Die Hanum zweifelte nicht, Archont, daß du' das auf dich nehmen würdest.«
Eben noch hätte Salmenikos für Malchatuns Sicherheit alles gegeben; jetzt aber, da er die unmittelbare Gefahr gebannt wußte, war es wieder da, das Mißtrauen und mit dem Mißtrauen die Vorsicht. »Ihr wollt mich erpressen! Marulas wegen soll ich euch einlassen«, zürnte
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