Malefizkrott
abgetastet, bevor sie hineindurften. Und da saß Lola im Sessel als ein gut ausgeleuchtetes, nahezu unbewegliches Ziel.
Aber würde er es wagen? Hatte er seinen Fluchtweg so gut geklärt, dass er sicher war wegzukommen? Oder war das sein Tag, die Nacht, der öffentliche Auftritt Lolas, auf den er gelauert und hingearbeitet hatte? Dann war es ihm womöglich egal, ob er davonkam. Denn nur heute und nie wieder würden zwei Millionen Menschen zuse hen, wie Lola starb.
Und ich saß da und schaute zu.
Die Regieassistentin hob zwei Finger.
Andererseits, fiel mir ein, war es ja bloß eine Aufzeichnung. Wenn er schoss, würden es nur siebzig Menschen sehen. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen war taktvoll genug, im Nachhinein keinen Mord auf offener Bühne zu zeigen. Aber war das auch dem Schützen klar? Wenn er in der Welt der Privatsender lebte, dann versprach er sich womöglich Bilder, die um die Welt gingen.
Und wieder flirrte das rote Pünktchen durch den Studiosaal, diesmal über die Wand neben mir. Der Staub in der Luft machte den Laserstrahl sichtbar. Er kam aus der Mitte der vorletzten Reihe. So viel sah ich, bevor er erneut verschwand.
Die Szene eines Films spulte sich in meinem Kopf ab. Ein Bodyguard, gespielt von – egal, der Name fiel mir jetzt nicht ein –, stürzte sich vor Tausenden von Zuschauern schützend auf die schöne schwarze Sängerin, die er liebte und die Morddrohungen erhalten hatte. Am Ende war es ihre eigene von Neid zerfressene Schwester, die auf sie schoss. Aber Lola hatte keine Schwester.
Nur diesen Vater. Ja, und diese Mutter, die es wurmen mochte, dass heute niemand mehr Lola als Tochter der Schauspielerin Marlies Schrader vorstellte, sondern umgekehrt, sie, Marlies, nur noch als Mutter der berühmten Autorin Lola Schrader. Aber das hatte sie ja nicht ahnen können, als Lola ihre erste Lesung bei Durs Ursprung gehabt und alles angefangen hatte.
Der rote Punkt flackerte erneut, diesmal gegen die Hinterköpfe der vorderen Reihen. Lola erzählte gerade, dass sie Wortesammlerin sei, nicht Märchenerzählerin, und ich stand auf, ließ Cipións Leine zu Boden fallen und trat an die Zuschauerreihen heran.
Die Regieassistentin hob einen Finger.
Einer der Kameramänner beugte sich zu einem Kabelträger. Er hatte den Laserpunkt auch bemerkt, zumal er soeben über die Wand hinter Cäsar und Lola wackelte. Ein Mann in Jeans und Karohemd an den dunklen Rän dern des Studios wurde ebenfalls wach. Der Punkt näherte sich von oben Lolas Scheitel.
Ich lief los, sprang die Stufe zu den Sesseln empor und stellte mich vor Lola.
Cäsar schaute auf. Die Regieassistentin riss beide Arme hoch und ließ sie resigniert fallen.
»Entschuldigen Sie«, wandte ich mich erst an Cäsar und dann ans Publikum. »Ich bin Lolas Securitymanage rin. Und hier ist jemand, der fuchtelt mit einem Laserpointer herum. Zumindest hoffe ich, dass es nur ein Pointer ist und nicht die Zielvorrichtung an einer Schusswaffe!«
Jemand lachte. Andere wurden unruhig. Aber sie befanden sich alle im Kokon der Fiktion. Ihr Vertrauen ins Fernsehen und die Kontrollierbarkeit aller Ereignisse war unerschütterlich. Zumal Cipión gemütvoll bärtig und blankäugig neben mir stand. »Ach wie süß!«
Inzwischen hatte der Techniker in Jeans und Karohemd einen vielleicht vierzehnjährigen Jungen aus der vorletzten Reihe gezogen, der sofort schrie: »Ich hab nix gemacht!«
Da sah ich ihn: die nicht dicke, aber unbeholfene Gestalt eines Mannes, der sich rechts ganz hinten erhob und einer Tür zuwandte, von der ich nicht gewusst hatte, dass es sie gab. Kurz sah ich im Licht von draußen ein faltiges Gesicht, ehe er hinausgeschlüpft war und die Tür wieder zufiel.
Ich rannte los. Diesmal würde ich ihn nicht laufen lassen wie in Friedrichshafen, diesmal würde die Polizei seine Personalien feststellen. Ich schlitterte auf dem schwarzen Boden um die erste Zuschauerreihe, angelte ein Kabel mit, über das Cipión fiel, fand die verdammte schwarze Tür inmitten der schwarzen Wand nicht, erwischte endlich die Klinke, während Cäsar hinter mir die letzte Minute des Interviews wieder aufnahm: »Das schneiden wir. Lola Schrader, es gibt noch ein unschönes Thema, über das wir sprechen müssen. Sie erhalten Drohungen?«
Ich schlüpfte mit Cipión hinaus.
Ein fensterloser Gang nach links, einer nach rechts, Türen auf beiden Seiten, am fernen Ende ein Treppenhaus. Ein Fahrstuhl rappelte. »Such, Cipión!« Er trabte Richtung Treppenhaus los. Ich
Weitere Kostenlose Bücher