Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
Vom Netzwerk:
vorher, das haben wir uns nicht genügend klargemacht, und wir haben uns nicht genügend
     darauf eingestellt.«
    »Was willst du damit sagen«, fragt Peyssou, »daß wir nicht mehr in dem gleichen Zeitalter leben wie vorher?« Ich wende mich
     an ihn.
    »Ich bringe dir ein Beispiel. Nimm an, vor dem Tag des Ereignisses kommt nachts ein Bursche zu dir und zündet dir aus Rache
     deine Scheune und dein Heu an und verbrennt dir deine Kühe.«
    »Das sollte mal einer wagen!« sagt Peyssou und vergißt, daß er alles verloren hat.
    »Zugegeben. Ein schwerer Verlust, wirst du mir sagen, doch es ist kein Verlust, der dein Leben in Gefahr bringt. Erstens,
     weil es die Versicherung gibt. Und selbst bevor sie sich entschließt, dich auszuzahlen, hast du die Landwirtschaftliche Kreditkasse,
     die dir Darlehen gibt, damit du wieder Kühe und Heu kaufen kannst. Heute hingegen, hör gut zu, wenn ein Bursche dir heute
     deine Kuh klaut oder dir dein Pferd wegnimmt oder dein Korn wegfrißt, ist es aus, er verurteilt dich über kurz oder lang zum
     Tode. Es ist kein einfacher Diebstahl mehr, sondern ein Verbrechen. |373| Ein Verbrechen, das unverzüglich und ohne Zögern mit dem Tode bestraft werden muß.«
    Ich sehe Jacquet beunruhigt, doch ganz von meinem Vorhaben in Anspruch genommen, begreife ich nicht sofort den Grund. Was
     ich eben erklärte, habe ich mir seit Momos Tod so oft selbst wiederholt, daß ich die Empfindung habe, wiederzukäuen. Ich möchte
     aber auf jeden Fall darauf zurückkommen, denn ich weiß wohl, daß sich eine lebenslange Verhaltensweise weder bei meinen Gefährten
     noch bei mir von einem Tag auf den anderen ändern wird. Ebensowenig wird der Instinkt der Selbstverteidigung so rasch die
     erlernte Achtung vor dem menschlichen Leben überwuchern.
    »Trotzdem«, sagt Colin betrübt. »Menschen zu töten!«
    »Es muß sein«, sage ich, ohne die Stimme zu heben. »Die neue Epoche verlangt es. Der Bursche, der dir dein Korn nimmt, ich
     wiederhole es, verurteilt dich zum Tode. Du aber hast doch keinen Grund, deinen Tod dem seinen vorzuziehen!«
    Colin schweigt. Und auch die übrigen. Ich weiß nicht, ob ich sie überzeugt habe. Aber der Vorfall selbst hat sein Gewicht.
     Ich kann mich darauf verlassen, er wird ihnen schwer auf der Erinnerung lasten und mir helfen, in ihnen und vorerst in mir
     selbst jenen Reflex zu entwickeln, mit dem das Tier so unerhört rasch und brutal sein Territorium verteidigt.
    Schließlich muß ich doch bemerken, daß Jacquet dunkelrot im Gesicht geworden ist, daß ihm dicke Schweißperlen auf der Stirn
     stehen. Ich fange an zu lachen.
    »Beruhige dich, Jacquet, die Beschlüsse, die wir heute abend fassen, gelten nicht rückwirkend!«
    »Rückwirkend, was soll das heißen?« fragt er und heftet seine kastanienbraunen Augen auf mich.
    »Das heißt, daß sie auf Handlungen in der Vergangenheit nicht anwendbar sind.«
    »Gott sei Dank!« sagt er, sehr erleichtert.
    »Dieser verdammte Jacquet«, sagt Peyssou.
    Und nun lachen wir, wie vorhin wegen Thomas, mit dem Blick auf Jacquet. Nach dem Blut, das wir verloren und das wir vergossen
     haben, hätte ich solche Fröhlichkeit nicht für möglich gehalten. Doch Fröhlichkeit ist es im Grunde gar nicht. Dieses Lachen
     hat einen gesellschaftlichen Inhalt. Es bestätigt unsere Zusammengehörigkeit. Thomas ist trotz seiner Fehler |374| einer der unsern. Jacquet auch. Die Gemeinschaft schließt sich zusammen und festigt sich nach ihrer Feuertaufe.
    Das Begräbnis ist auf Mittag festgesetzt, und wir sind übereingekommen, zu kommunizieren. Nach der Versammlung am Vormittag
     erwarte ich in meinem Zimmer diejenigen, die sich entschlossen haben zu beichten.
    Es kommen Colin, Jacquet und Peyssou. Bei diesen dreien weiß ich, bevor sie den Mund aufmachen, was sie bedrückt. Um so besser,
     wenn sie das Gefühl haben, daß ich sie von dieser Bürde entlasten kann:
»Welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.«
Gott behüte mich davor, zu glauben, daß ich diese unermeßliche Macht innehabe oder jemals innehaben werde! Denn ich zweifle
     manchmal doch daran, daß selbst Gott das Gewissen eines Menschen reinwaschen könnte. Doch ich höre auf. Mit meinen Ketzereien
     möchte ich niemanden beunruhigen. Um so weniger, als ich auf diesem Gebiet keineswegs sicher bin.
    Als Colin fertig ist, sagt er mir mit seinem kleinen Lächeln: »Peyssou zufolge stellt Fulbert bei der Beichte

Weitere Kostenlose Bücher