Malevil
es ihm nicht gleichgetan. Ich vergaß, daß ich Miette mit den Gefährten
geteilt hatte, und wollte Catie für mich allein haben. Und unter dem Vorwand, sie zu lieben, habe ich in einer Gemeinschaft
von sechs Männern allein zu meinem Vorteil die einzig annehmbare – ich sage annehmbare – Frau beschlagnahmt.
Gewiß, ich empfinde Dankbarkeit und Freundschaft für sie. Aber jetzt, nachdem das erste Feuer des Begehrens vergangen ist,
frage ich mich: Liebe ich sie denn? Liebe ich sie mehr, als ich Emmanuel, Peyssou oder Meyssonnier liebe? Und warum
sollte man
– unter dem Vorwand, daß man mit ihr schläft – eine Frau mehr lieben als seinen Freund? Ich vermute, es ist viel Lüge und
Konvention in solcher kitschigen Romantik.
Zweite Frage: Verleiht einem der Umstand, eine Frau zu »lieben«, das Recht, sie in einer Gesellschaft mit einer sehr begrenzten
Anzahl von Frauen für sich zu kapern? Wenn ja, hat Peyssou, der eine starke Neigung für Catie zeigt, das gleiche Recht wie
ich auf ihren ausschließlichen Besitz. Und Catie selbst, müßte sie sich nicht, wenn sie ihrem bäuerlichen Geschmack nachgäbe,
von Peyssou stärker angezogen fühlen als von mir? Ich habe die Empfindung, daß ich mich in eine völlig falsche Situation verstrickt
habe, in der mein Selbstgefühl Federn lassen wird. Catie wird mir nicht treu sein, das weiß ich, und ich verbiete mir im voraus,
darüber erzürnt zu sein. So schockierend es für die aus der Zeit vorher ererbten emotionellen Gewohnheiten sein mag, Emmanuel
hat recht: In einer Gemeinschaft, in der alles auf dem gegenseitigen Wohlwollen der Mitglieder beruht, ist die ausschließliche
Bindung von Mann und Frau nicht mehr am Platz.
Ich möchte auf Emmanuels negative Empfindungen Catie gegenüber zurückkommen. Sie schaffen ein dauerndes Unbehagen in Malevil.
Catie bewundert Emmanuel und leidet darunter, daß er sie so wenig schätzt. Sie hat den Eindruck, daß er sie unablässig mit
Miette vergleicht, und stets zu ihrem Nachteil. Daher, vermute ich, ihr störrisches und undiszipliniertes Verhalten. Meiner
Meinung nach würde sich dieses Verhalten ändern, wenn Emmanuel mehr Wert auf Catie als menschliches Wesen legte.
|399| 2. Ich komme jetzt auf Evelyne zu sprechen. Zu diesem Thema möchte ich freimütig, doch ohne Gehässigkeit reden.
Ich spreche sogleich meine Überzeugung aus: Ich bin völlig sicher, daß es auf der Ebene des Körperlichen nichts, absolut nichts
zwischen Evelyne und Emmanuel gibt.
Catie ist lange Zeit vom Gegenteil überzeugt gewesen, und wir haben oft darüber gesprochen.
Was alle diese Mutmaßungen ausgelöst hat, ist ein völlig überraschender Vorfall, der zwischen unserer Rückkehr nach Malevil
und der Geschichte mit den Plünderern liegt und den Emmanuel in seinem Bericht mit Stillschweigen übergangen hat. Ich habe
bereits bemerkt, es ist nicht das erstemal, daß Emmanuel Dinge wegläßt, die ihn beschämen.
Wir kennen den Ritus in Malevil: Jeden Abend, wenn die Unterhaltung beendet ist, nimmt Miette den Gefährten, den sie erwählt
hat, bei der Hand. Es ist ein Ritus, der mich, muß ich gestehen, anfänglich schockiert hat. Und hernach hatte ich mich in
meiner Ungeduld, bald wieder an der Reihe zu sein, daran gewöhnt. Jetzt, da ich verheiratet bin und – mindestens für eine
Zeit – meine bevorrechtete Stellung genieße, schockiert er mich wiederum. Gewiß, ich weiß, was man sagen wird. Daß der Mensch
eine doppelte Moral hat, je nachdem ihm die anstoßerregende Handlung zugute kommt oder nicht.
Kurz, an jenem Abend, vielleicht einen Monat nach Evelynes Eintreffen in Malevil, ging Miette, als die Unterhaltung zu Ende
war, zärtlich lächelnd auf Emmanuel zu und nahm ihn an der Hand. Sofort ging Evelyne, die links von Emmanuel stand, auf seine
rechte Seite und löste wortlos und mit einer Entschiedenheit und Kraft, die uns überraschten, die zwei Hände voneinander.
Verwundert und bekümmert, weil Emmanuel ihre Hand ohne Widerstand entgleiten ließ, wehrte Miette sich nicht. Sie schaute Emmanuel
an. Doch Emmanuel rührte sich nicht und sagte kein einziges Wort. Nur Evelyne betrachtete er mit äußerster Aufmerksamkeit,
als versuchte er zu begreifen, was sie tat – und was doch für jedermann ganz klar war. Und als Evelyne die Hand, die sie eben
befreit hatte, in ihr »Pfötchen« nahm, ließ Emmanuel es geschehen.
Ich habe nicht den Blick vergessen, den Evelyne damals auf Miette warf. Es
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