Malloreon 5 - Seherin von Kell
alle gehören zu Kell.«
»Nur einem Dalaser kann so etwas Umständliches einfallen!«
»Die Städte anderer sind zu verschiedensten Zwecken erbaut, Beldin. Manche für den Handel, andere zur Verteidigung. Unsere dient dem Studium.«
»Wie könnt Ihr studieren, wenn Ihr den ganzen Tag laufen müßt, um mit Euren Kollegen zu reden?«
»Laufen ist nicht nötig, Beldin. Wir können miteinander sprechen, wann immer wir es wollen. Ist das nicht auch die Weise, auf die Ihr und der Ehrwürdige Belgarath Euch verständigt?« »Unsere Gespräche sind privat.«
»Wir bedürfen keiner persönlichen Geheimnisse. Die Gedanken jedes einzelnen sind die Gedanken aller.«
Es war kurz vor Mittag, als sie aus der Höhle wieder in den warmen Sonnenschein traten. Cyradis behutsam bei der Hand haltend, führte Toth sie zu dem Spalt im Kamm zurück und den steilen Pfad quer durch die Wiesen hinunter. Nach einer Stunde Abstieg gelangten sie in einen kühlen Wald, wo die Vögel in den Bäumen sangen und Insekten wie Fünkchen in der schräg einfallenden Sonne tanzten.
Der Pfad war sehr steil, und Garion bekam bald eine Auswirkung des längeren hangab Marschierens zu spüren. Eine große, schmerzhafte Blase bildete sich auf einer Zehe des linken Fußes, und ein schwaches Stechen verriet ihm, daß er bald eine dazu passende am rechten Fuß haben würde. Er biß die Zähne zusammen und humpelte weiter.
Kurz vor Sonnenuntergang erreichten sie die schimmernde Stadt im Tal. Garion bemerkte mit einiger Befriedigung, daß auch Beldin hinkte, während sie der Marmorstraße zu dem Haus folgten, in dem Dallan sie einquartiert hatte.
Die anderen aßen gerade, als sie eintraten. Zufällig blickte Garion in dem Moment in Zakaths Gesicht, als der Malloreaner sah, daß Cyradis bei ihnen war. Sein braunes Gesicht erbleichte ein wenig, und der kurze schwarze Bart, den er sich hatte wachsen lassen, damit er nicht erkannt wurde, betonte die Blässe noch. Er erhob sich sofort und verbeugte sich knapp. »Heilige Seherin«, grüßte er respektvoll.
»Kaiser von Mallorea«, erwiderte sie. »Wie ich Euch im wolkendunklen Darshiva versprach, gebe ich mich Euch nun als Geisel.« »Es ist nicht nötig, von Geiseln zu sprechen, Cyradis«, antwortete er verlegen und errötete leicht. »Ich sprach in Darshiva in Hast, ehe ich verstand, was ich tun muß. Jetzt habe ich mich der Sache ganz verschworen.«
»Ich bin trotzdem Eure Geisel, denn so ist es vorherbestimmt, und ich habe Euch zu dem Ort, der nicht mehr ist, zu begleiten, um mich der Aufgabe zu stellen, die mich erwartet.«
»Ihr seid gewiß alle hungrig«, sagte Sammet. »Setzt euch an den Tisch und eßt.«
»Ich muß zuerst eine Aufgabe zu Ende führen, Jägerin«, sagte Cyradis zu ihr. Sie streckte beide Hände aus, und Toth legte das schwere Buch darauf, das er den Berg hinuntergetragen hatte. »Ehrwürdiger Belgarath«, sagte sie wieder auf diese seltsam mehrstimmige Weise, »hiermit vertrauen wir Euch unser Heiliges Buch an, wie die Sterne es uns geboten haben. Lest es sorgfältig, denn Eure Bestimmung ist in seinen Seiten zu finden.«
Belgarath stand rasch auf, eilte zu ihr und nahm ihr mit vor Aufregung zitternden Händen das Buch ab. »Ich danke Euch, Cyradis. Ich weiß, wie wertvoll dieses Buch ist. Ich werde es schonend behandeln und es Euch zurückgeben, sobald ich gefunden habe, was ich wissen muß.« Dann ging er damit zu einem Tischchen neben dem Fenster, setzte sich und öffnete den dicken Band.
»Rück ein bißchen«, forderte Beldin ihn auf, während er ebenfalls zu diesem Tischchen stapfte und sich einen anderen Stuhl zurechtschob. Die beiden alten Männer beugten die Köpfe über die raschelnden Seiten und hörten und sahen nichts mehr, was um sie vorging.
»Gebt Ihr uns die Ehre, mit uns zu essen, Cyradis?« lud Polgara sie ein.
»Ihr seid sehr gütig, Polgara«, dankte die Seherin von Kell. »Ich habe in Vorbereitung dieses Treffens seit eurer Ankunft im Tal gefastet, und mein Hunger schwächt mich.«
Polgara führte sie an den Tisch und rückte ihr einen Stuhl zwischen Ce'Nedra und Sammet zurecht.
»Geht es meinem Kind gut, heilige Seherin?« fragte Ce'Nedra besorgt.
»Es geht ihm gut, Königin von Riva, doch der Knabe sehnt sich danach, zu Euch zurückzukehren.«
»Es verwundert mich, daß er sich überhaupt an mich erinnert«, sagte Ce'Nedra bitter. »Er war ja noch ein Säugling, als Zandramas ihn entführt hat.« Sie seufzte. »Mir ist so viel entgangen – so viel, was
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