Malory 09 - Der geheimnisvolle Verführer
nicht mit James diskutieren wollte. Ihr ging es genauso.
In der Hoffnung, möglichst unbekümmert zu klingen, sagte sie: »Du hast also nicht mitbekommen, was sie sich einander an den Kopf geworfen haben?«
»Nein, aber worum könnte es gegangen sein? Er hat um Ihre Hand angehalten, und jetzt befinden Sie sich auf einem anderen Schiff. Er möchte sie bestimmt zurück auf seinem Schiff haben, damit er Ihnen auch weiterhin den Hof machen kann.«
Katey verdrehte die Augen. »Er hat mir nicht den Hof gemacht. Ich wage zu bezweifeln, dass er überhaupt weiß, wie so etwas vonstatten geht.«
Grace schnaubte. »Als ob Sie das wüssten. Vergessen Sie nicht, Sie haben kein Haus, in dem er Ihnen einen Besuch abstatten kann. Was meinen Sie eigentlich, was er beabsichtigt hat, als er den ganzen Tag mit Ihnen in Cartagena verbracht hat? Ganz zu schweigen von dem Picknick oder dem Sonnenaufgang, den er sich zusammen mit Ihnen ansehen wollte?«
Katey hätte am liebsten laut geschrien. Zwei der drei Dinge, die Grace gerade erwähnt hatte, entsprachen nicht der Wahrheit, und an dem Ausflug nach Cartagena hatte er lediglich seiner Lüsternheit wegen teilgenommen und nicht, um ihr den Hof zu machen.
Aber Grace war noch nicht fertig. Sie war nur so lange verstummt, um ein kleines Päckchen aus Kateys Truhe zu fischen. »Und was ist hiermit?«, sagte sie und überreichte es ihrer Herrin. »Ich habe es in Ihrer Kajüte gefunden, als Sie beim Picknick waren. Vielleicht ist es auch schon früher überbracht worden. Kann es sein, dass Sie es noch gar nicht bemerkt haben? Immerhin ist es noch ungeöffnet.«
»Ich sehe dies zum ersten Mal.« Stirnrunzelnd schlug Katey das dünne Seidenpapier zurück.
Als sie die kleine hölzerne Schatulle öffnete, weiteten sich ihre Augen. An einer goldenen Kette baumelte ein wunderhübscher geschnitzter Anhänger aus Walknochen, der sie umgehend an zu Hause denken ließ – und an Boyd. Nachdem sie sich die lange Kette umgelegt hatte, studierte sie den Anhänger eingehender.
Grace lächelte süffisant. »Hübsch, aber natürlich hat er Ihnen das nicht geschenkt, weil er um Ihre Gunst buhlt, nicht wahr? Doch das ist jetzt sowieso Schnee von gestern. Er folgt uns nicht mehr, und wenn doch, ist er stark zurückgefallen. Ich habe mich selbst davon überzeugt, ehe ich kam, um Ihnen mitzuteilen, dass das Essen serviert wird.«
Katey blinzelte und sprang aus dem Bett. »Warum hast du das denn nicht früher gesagt?«
»Habe ich doch gerade. Kein Grund zur Panik. Es macht doch nichts, wenn sie ein wenig warten.«
»Und ob. Das gehört sich nicht«, sagte Katey und schnappte sich eines der Kleider, die Grace gerade erst verstaut hatte. »Und schon gar nicht, wenn einer der beiden so Angst einflößend ist, dass … du hast es selbst gerade gesagt. Der, von dem ich spreche, umgibt sich allzeit mit einem Mantel der Bedrohung. Ich muss erst noch lernen, mich in seiner Gegenwart zu entspannen. Der andere, Judiths Vater, ist die Freundlichkeit in Person. Aber irgendwie befällt mich immer ein seltsames Gefühl, wenn ich ihn sehe.«
»Was für ein seltsames Gefühl?«
Katey sprach weiter, während sie sich anzog. »Schwer zu beschreiben. Es kommt mit fast so vor, als wollte ich ihn beeindrucken, nachdem er mich als die Heldin seiner Tochter kennengelernt hat.«
Grace lachte. »Einen besseren Eindruck können Sie doch gar nicht hinterlassen, oder?«
»Ich weiß. Vermutlich möchte ich nicht, dass sein Bild von mir ins Wanken gerät. Es könnte mir eigentlich egal sein, ist es aber nicht.«
Grace schnürte Kateys Kleid am Rücken. »Jemanden beeindrucken und nicht enttäuschen zu wollen, ist nahezu dasselbe und im Falle von Judiths Vater mehr als verständlich. Schließlich verbindet Sie eine besondere Freundschaft mit dem Mädchen. Ich bin überzeugt davon, dass Sie und Judith lebenslang Freundinnen bleiben werden.«
»Mehr, meinst du, steckt nicht dahinter?«
»Warum sonst sollten Sie sich Gedanken darum machen, was Sir Anthony Malory von Ihnen hält?«
Kapitel 44
Es wurde ein unangenehmes Abendessen. Katey fiel kein treffenderes Wort dafür ein. Sie fühlte sich bis in die Haarspitzen unwohl. Und den beiden Malorys schien es ebenso zu ergehen. Die Stimmung verbesserte sich auch nicht, als James eine Bemerkung über den Anhänger machte, den sie dicht am Herzen trug, und fragte, ob er aus Elfenbein geschnitzt sei.
Mit einem zaghaften Lächeln antwortete sie: »Nein, er ist aus Walknochen
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