Malory 09 - Der geheimnisvolle Verführer
geschnitzt. Schmuckstücke dieser Machart sind derzeit recht beliebt in Neu-England.«
Er machte ein entsetztes Gesicht. »Sie tragen … Walknochen um den Hals?«
Sie versteifte sich und antwortete: »Ich finde das Schmuckstück ausgesprochen apart.«
»Ja, ja«, pflichtete er ihr bei. »Wirklich sehr schön.«
Aus irgendwelchen Gründen, die ihr nicht bekannt waren, wirkten die beiden Brüder nicht minder angespannt als sie. Es war jedoch denkbar, dass sie lediglich Kateys Stimmung widerspiegelten.
Das Essen an sich war vorzüglich und bot keinen Anlass zur Kritik. Die Malorys versuchten sogar, ein normales Gespräch in Gang zu bringen, was ihnen aber eher schlecht als recht gelang. Mehr als einmal bemerkte Katey, dass die beiden Brüder eigenartige Blicke austauschten, um sich wortlos zu verständigen. Ihr seltsames Verhalten bereitete ihr zunehmend Sorge. Zwischendurch spielte sie mit dem Gedanken, sie geradeheraus zu fragen, was sie eigentlich in den Mittelmeerraum verschlagen hatte, fand aber letztlich nicht den Mut.
»Was für ein Narr Boyd doch ist, Sie ins Mittelmeer zu bringen statt in die Karibik, wo das Wasser noch viel wärmer ist.«
»Ich wollte nicht gleich so weit segeln«, antwortete Katey. »Er hat es vorgeschlagen, aber ich habe abgelehnt.«
»Dann müssen Sie sich den Vorwurf gefallen lassen, meine Liebe«, schalt James sie. »Bei der Planung einer Reise sollten Sie immer berücksichtigen, was am Zielort vor sich geht. Den meisten karibischen Piraten ist Ende des letzten Jahrhunderts der Garaus gemacht worden. Die paar, die noch übrig sind, sind halb so wild und nehmen meist nur Geiseln, um sie an die eigene Familie zu verkaufen.«
»Was mein Bruder damit sagen will, ist Folgendes«, riss Anthony das Wort an sich. »Im Mittelmeer gibt es viel mehr Piraten als anderswo. Noch sind die Regierungen der einzelnen Länder nicht so weit, ihnen den Krieg zu erklären, egal, wie viele Verluste sie schon hinnehmen mussten. Irgendwann wird es unweigerlich der Fall sein, aber bis dahin verkaufen die Piraten ihre Gefangenen als Sklaven. Das macht einen erheblichen Unterschied.«
Katey fühlte sich nicht angegriffen. Wenn jemand sie schalt, weil er oder sie sich Sorgen machte, tendierte sie dazu, ein schlechtes Gewissen zu haben, empfand aber nicht einmal den Hauch von Groll. Glücklicherweise redeten sie nicht mehr um den heißen Brei herum, was ihr half, sich ein wenig zu entspannen.
»Mir wurde versichert, wir wären in keiner allzu großen Gefahr, solange wir die nordafrikanische Küste meiden, was wir auch getan haben«, erzählte Katey ihnen. »Hat man mich womöglich falsch informiert? Ist das der Grund, warum Sie sich auf die Suche nach uns gemacht haben? Wissen Sie womöglich etwas über diese Region, was Boyd und seinem Kapitän verborgen geblieben ist?«
»Mein Bruder übertreibt ein wenig«, sagte Anthony. »Ich denke nicht, dass Sie in Gefahr waren.«
»Und ob«, warf Katey ein. »Es hat einen Zwischenfall mit Piraten gegeben. Boyd und ich befanden uns auf einem Ausflug, als Freibeuter uns am Strand entdeckten. Boyd hat sich der beiden Ruderboote angenommen, die sie entsandt haben. Eigentlich müssten Sie ihr Schiff noch gesehen haben, als es vor der Oceanus geflüchtet ist.«
»Doch, wir haben ein kleineres Schiff gesehen, aber da Sie sich auf der unbewohnten Seite der Insel befanden, dachten wir, es handele sich um Einheimische, die sich erkundigen wollten, ob sie Ihnen helfen können.«
»Zwei Ruderboote«, sagte James nachdenklich. »Wie viel Mann insgesamt?«
»Sechs pro Boot. Boyd hatte gerade das erste halbe Dutzend abgefertigt, als das zweite Boot anlegte.«
»Hatte er Waffen?«
»Keine außer seinen Fäusten. Da sie ihn offensichtlich versklaven wollten, waren sie bemüht darum, ihn nicht ernsthaft zu verletzen. Sie waren davon ausgegangen, sie könnten ihn auch so überwältigen. Aber da haben sie sich geirrt.«
James hob eine Augenbraue und sah seinen Bruder an. »Fühlst du dich jetzt besser, alter Mann?«
»Dass er so versiert im Faustkampf zu sein scheint?«, brummte Anthony. »Oder dass seine Fäuste, nachdem er zwölf Mann verprügelt hat, noch immer so schnell durch die Luft segeln?«
»Guter Einwurf«, meinte James trocken.
Stirnrunzelnd richtete Anthony das Wort an Katey: »Sie müssen vor Angst ja fast vergangen sein.«
Katey blinzelte, als ihr aufging, dass sie sich die ganze Zeit über eigentlich weniger Sorgen um sich selbst gemacht hatte als um
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