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Malory

Malory

Titel: Malory Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 04. Wer die Sehnsucht nicht kennt
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verfuhr. Unwillkürlich wanderten ihre Augen zu seinem Gürtel. Er war aus dickem Leder und sehr breit. Sie konnte sich vorstellen, daß es höllisch weh tun würde, wenn
    »Wohin zum Teufel starrst du so?«
    Tiefe Röte stieg ihr ins Gesicht. Am liebsten wäre sie unter den Tisch gekrochen. Aber dann beschloß sie, die Wahrheit zu sagen.
    »Auf deinen Gürtel. Hättest du ihn wirklich benutzt, um den Eigensinn deiner Schwester zu brechen?«
    Sein Zorn wuchs. »Ich kann mir vorstellen, wer dir solchen Unsinn erzählt hat.«
    Amy nahm allen Mut zusammen und fragte noch einmal:
    »Hättest du’s getan?«
    »Das geht dich nichts an, dumme Göre«, entgegnete er schroff.
    Sie seufzte. Sie hätte das nicht erwähnen sollen, aber offensichtlich würde alles, was sie sagte, seinen Zorn erregen.
    Dennoch beschloß sie, das Thema zu wechseln. »Du scheinst einen Namenstick zu haben. Wie Onkel Tony – genaugenommen wie alle meine Onkel. Das fing an mit dem Namen meiner Cousine Regina. Die meisten in der Familie nannten sie Reggie, aber Onkel James mußte natürlich eine Ausnahme machen und nannte sie Regan. Heute nehmen sie das längst nicht mehr so genau, aber damals gerieten seine Brüder jedesmal außer sich, wenn James den Namen gebrauchte. Komisch, daß ihr alle den gleichen Tick habt.«
    Diese Worte waren spaßig gemeint. Um so lächerlicher war sein deutlich gezeigter Abscheu, mit den Malorys verglichen zu werden. Sie lachte aber nicht, lächelte nicht einmal und bot ihm statt dessen ein Friedenszeichen an.
    »Falls es dich tröstet: Deine Schwester hat heute morgen getobt, als sie erfuhr, was Onkel James angestellt hat. Sie sagte, sie würde ihr Baby Jacqueline, höchstens Jackie, nennen, und er könne zum Teufel gehen, wenn ihm das nicht gefiele.«
    »Er soll zum Teufel gehen.«
    »Sei friedlich, Warren – wenn’s dir recht ist, daß ich dich so nenne.«
    »Es ist mir nicht recht«, antwortete er steif, weil sie die Dreistigkeit besessen hatte, ihn zu kritisieren, und da verstand er keinen Spaß. »Du kannst mich Mr. Anderson oder Captain Anderson nennen.«
    »Ich denke gar nicht daran«, entgegnete sie. »Das ist mir viel zu unpersönlich, und unser Verhältnis soll nicht unpersönlich sein. Wenn ich dich nicht Warren nennen darf, muß ich mir eben einen anderen Namen ausdenken.«
    Sie warf ihm ein spitzbübisches Lächeln zu, denn sie wußte wohl, daß sie ihn mit dieser Bemerkung schockiert hatte. Er sollte nur nicht glauben, ihr Verhältnis unpersönlich nennen zu können – nicht, daß sie schon eines hätten, aber sie würden eines haben. Dafür würde sie schon irgendwie sorgen.
    Sie ging ein paar Treppenstufen hinauf, und als sie sich umsah, bemerkte sie, daß er schon auf dem Weg zur Tür war.
    »Wenn du Jack sehen willst, dann komm mit ins Kinderzimmer. Oder warte, bis George aufwacht.«
    Ohne seine Antwort abzuwarten, ging sie weiter die Treppe hinauf, da hörte sie ihn plötzlich knurren: »Ich will die Kleine sehen.«
    »Dann komm, ich bringe dich zu ihr.«
    Sie wartete, bis er den oberen Treppenabsatz erreicht hatte, und wollte sich schon nach ihm umdrehen, als sie plötzlich seine Hand auf ihrem Arm fühlte. Ein warmer Schauer durch-rieselte sie, und sie stieß einen leisen Seufzer aus. Er hörte es nicht, denn er fragte schon: »Was machst du eigentlich hier?«
    »Ich wohne hier und helfe deiner Schwester so lange, bis sie den Haushalt wieder selbst übernehmen kann.«
    »Warum ausgerechnet du?«
    »Ich mag deine Schwester. Wir sind Freundinnen geworden.
    Tut es dir jetzt nicht leid, mich so grob behandelt zu haben?«
    »Nein«, sagte er schroff. Sie bemerkte jedoch, daß sich ein Lächeln um seinen Mund andeutete und der Ausdruck seiner Augen ein wenig wärmer geworden war, obwohl er rasch hinzufügte: »Du bist verdammt frech für ein Mädchen deines Alters.«
    »Großer Gott, bloß nicht lächeln!« rief sie in gespielter Besorgnis. »Deine Grübchen könnten sich zeigen.«
    Da lachte er. Er war wohl selbst überrascht davon, denn er hörte abrupt auf und wurde sogar rot. Amy wandte sich ab, um ihn nicht noch verlegener zu machen, und führte ihn in das spärlich beleuchtete Kinderzimmer.
    Das Baby schlummerte süß. Man hatte es auf den Bauch gelegt, das Gesicht auf die Seite, die winzige Faust nahe am Mund. Der leichte Flaum war hellblond. Ob die Augen braun oder grün sein würden, war jetzt noch nicht zu erkennen; zunächst waren sie noch babyblau.
    Warren stand still neben Amy und blickte

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