Malory
auf das Baby. Sie hatte ihn jetzt ganz für sich, dachte Amy – Jack zählte nicht. In Anbetracht der Größe ihrer beider Familien und der Tatsache, daß Warren nicht lange in England bleiben würde, war damit zu rechnen, daß sie ihn nie wieder so für sich allein haben würde. Diese Gewißheit stürzte sie in ein Gefühl von Verzweiflung, mit dem sie nicht umzugehen wußte.
Als sie seinen zärtlichen Blick bemerkte, der nur so wenigen Menschen vorbehalten war, fragte sie leise: »Magst du Kinder?«
»Ich liebe Kinder«, antwortete er, ohne sie eines Blickes zu würdigen, und fügte dann trocken hinzu: »Sie können einen nicht enttäuschen oder einem das Herz brechen – bis sie erwachsen werden.«
Sie wußte nicht, ob er dabei an seine Schwester oder an die Frau dachte, die er einst geliebt hatte, oder an beide, deshalb schwieg sie und genoß es ganz einfach, an seiner Seite zu sein.
Er und Drew sahen sich trotz des Altersunterschieds von acht Jahren sehr ähnlich, vom Wesen her aber waren sie gegensätzlich wie Tag und Nacht. Eines von Amys Zielen mußte es sein, den eisigen Panzer zu durchbrechen, der Warrens Herz umgab, und herauszufinden, ob nicht ein kleines bißchen von Drews umwerfendem Charme darin verborgen war. Dann würde sie vielleicht den zärtlichen Mann entdecken, der so besorgt war um seine einzige Schwester und sich jetzt sogar in deren Kind verliebte.
Aber sie wußte so manches von seiner Vergangenheit, wuß-
te, daß man ihn sehr verletzt hatte. Man hatte sein Herz mit Füßen getreten, und das hatte ihn kalt, zynisch und mißtrauisch gemacht. Wie sie es anstellen sollte, das wußte sie noch nicht, aber sie würde ihn schon dazu bringen, der Liebe eine zweite Chance zu geben.
Plötzlich hörte sie sich leise flüstern: »Ich will dich, Warren Anderson.«
Bevor sie vor Verlegenheit fast im Boden versunken wäre –
sie war zwar kühn, aber so kühn im allgemeinen nun auch wieder nicht –, fügte sie rasch hinzu: »Ich muß das erklären. Erst will ich dich heiraten; und dann werde ich dir folgen, was immer auch geschehen mag.«
Er schwieg eine Weile. Diesmal hatte sie ihn wirklich verblüfft. Aber dann brach sein Zynismus erneut mit voller Wucht hervor.
»So ein Pech«, sagte er. »Das zweite Angebot war ja ganz interessant, das erste aber überhaupt nicht. Ich werde nicht heiraten, niemals.«
»Ich weiß«, seufzte sie. Direktheit schien heute nicht die richtige Waffe zu sein. »Aber ich hoffe, ich kann dich umstimmen.«
»Tatsächlich? Und wie willst du das anstellen, Kleine?«
»Indem ich dich dazu bringe, mich nicht als kleines Mädchen zu betrachten. Du weißt genau, daß ich kein Kind mehr bin. Ich bin alt genug, um zu heiraten und eine eigene Familie zu gründen.«
»Und wie alt bist du?«
»Achtzehn.« Das war nur eine kleine Lüge, denn in knapp zwei Wochen hatte sie Geburtstag.
»Mein Gott, so alt schon?« sagte er betont ironisch. »Aber wenn du wirklich älter bist, wirst du erkennen, daß so kühne Damen im allgemeinen nicht sehr lange als Damen angesehen werden. Oder ist das vielleicht deine Absicht? Du bist zwar nicht mein Typ, aber nach einem Monat auf See nehme ich es nicht so genau. Also zeig mir, wo dein Bett ist.«
Jetzt war er es, der sie schockieren wollte. Zum Glück aber durchschaute sie das und war nicht im geringsten gekränkt, schockiert oder auch nur eingeschüchtert. Und da sie nun schon einmal bei diesem Thema waren ...
»Das werde ich, sobald wir verlobt sind.«
»Der übliche Scherz«, höhnte er. »Den scheint man euch Mädchen in diesem Land schon ziemlich früh beizubringen.«
»Das war kein Scherz«, sagte sie sanft. »Das war ein Versprechen.«
»Dann gib mir eine Kostprobe von deinem Versprechen.«
Seine Hand glitt um ihren Nacken, um sie an sich zu ziehen.
Er hielt sie nicht fest. Er brauchte es nicht. Sie wollte seinen Kuß, auch wenn er ihr, wie sie wußte, eine Lektion erteilen wollte, und so schlang sie die Arme um seinen Hals. Und als sich ihre Lippen fanden und verschmolzen, war es genau so, wie sie erwartet hatte: Sein Kuß, unendlich erotisch und sinnlich, sollte sie schockieren.
Aber sie hielt nun ihrerseits eine Überraschung für Warren bereit. Küssen war ihr etwas durchaus Vertrautes, denn sie hatte in den letzten Jahren, ohne das Wissen ihrer Familie, schon beträchtliche Erfahrung darin gesammelt. Man hatte sie nicht von allen Festlichkeiten und Vergnügungen ferngehalten, sie aber bis zu ihrem Debüt dennoch für
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