Malory
zuvor für einen Mann empfunden habe, was ich für dich empfinde. Ich weiß auch, daß mich der Gedanke krank macht, du könntest jetzt zu einer anderen Frau gehen. Doch ob ich dich liebe, kann ich noch nicht mit Sicherheit sagen.«
Er hatte sich schon einige Gläser zu Gemüte geführt, eines zuviel, um Lady Amys komplizierten Gedankengängen aus Zweifeln und Gewißheit folgen zu können. Seine Hand glitt von ihrer Brust, und er befahl ihr barsch: »Verschwinde!«
Sie senkte den Blick. »Ich kann nicht. Ich habe die Kutsche fortgeschickt.«
»Warum zum Teufel hast du das getan?« explodierte er.
»Damit du mich nach Hause begleiten mußt.«
»Du hast dir alles genau zurechtgelegt – nur nicht, ob du mich liebst oder nicht –, also kannst du deinen Heimweg auch allein finden.«
»Wie du meinst.«
Sie wandte sich zum Gehen. Er hielt sie am Arm zurück.
»Wohin zum Teufel gehst du?«
»Nach Hause.«
»Und wie?«
»Aber du hast doch gesagt ...«
»Halt den Mund, Amy. Halt endlich den Mund und laß mich nachdenken. Bei deinem ständigen Geplapper kann man ja keinen vernünftigen Gedanken fassen.«
Sie hatte zwar kaum etwas gesagt, aber als das Schweigen zwischen ihnen anhielt und seine Miene immer finsterer wurde, fühlte sie sich zunehmend unbehaglich. »Vielleicht könn-te mich einer deiner Brüder nach Hause bringen«, schlug sie vor.
»Sie sind nicht hier.«
Das hatte sie sich schon gedacht; deshalb hatte sie es auch vorgeschlagen. Bei ihrem kurzen Rundblick durch die Schän-ke hatte sie keinen weiteren Anderson gesehen, und als sie ihn auf der Treppe entdeckt hatte, war ihr alles andere gleichgültig gewesen. Aber vielleicht hatte sie sich auch getäuscht.
Dabei hätte sie wissen müssen, daß Clinton und Thomas solche Tavernen niemals aufsuchen würden und auch die beiden jüngeren Brüder Orte bevorzugten, an denen sie sicher sein konnten, keinen Ärger zu bekommen. Warren kümmerte das nicht. Im Gegenteil, er hatte, genauso wie auf eine willige Frau, auf eine Schlägerei gehofft. Georgina hatte erwähnt, daß er, wenn er gereizt war, Schlägereien geradezu provozierte, ganz gleich, mit wem er es gerade zu tun hatte.
Und gereizt war er in diesem Augenblick. Wenn er jetzt noch herausfinden würde, daß ihre Kutsche an der nächsten Straßenecke wartete, würde er sie gewiß umbringen – nein, er würde sie hinbegleiten, sie hineinstoßen und schnurstracks zu seinem Tavernenflittchen zurückkehren. Ihre kleine Notlüge würde ihn wenigstens vorläufig, wenn auch wohl nicht die ganze Nacht, von dem Barmädchen fernhalten. Er wollte eine Frau, sonst wäre er nicht hier. Was sollte sie bloß tun, damit er sie, Amy, statt dessen wählte?
»Zum Teufel mit dir«, sagte er schließlich und hatte offensichtlich einen Entschluß gefaßt, denn er packte sie jetzt erneut am Arm und zerrte sie den Flur entlang.
»Wohin gehst du?« Dies war nicht die Richtung, aus der sie gekommen war, und das ließ sie einen Augenblick lang hoffen, daß er das einfache Wörtchen »heim« ausstoßen würde.
Es gab eine Hintertreppe, die zu einem Lagerraum und dann auf ein schmales Gäßchen führte. Wenigstens wartete dort keine Kutsche auf ihn. Die Gasse war leer. Amy fragte sich, ob sie jetzt eingestehen sollte, daß ihre Kutsche an der nächsten Stra-
ßenecke stand. Doch das würde die Zeit mit ihm nur verkürzen, und je länger sie heute nacht bei ihm war ...
»Würdest du mich nicht lieber mit in dein Hotel nehmen?«
»Nein«, gab er barsch zurück.
Draußen zerrte er sie weiter hinter sich her. Sie mußte rennen, um mit ihm Schritt zu halten. Was, wenn sie nun an ihrer Kutsche vorbeikamen und der Fahrer zu erkennen gab, daß er auf sie wartete? Das würde er gewiß, denn sie hatte ihm einen üppigen Lohn versprochen.
Zum Glück aber schlug er die entgegengesetzte Richtung ein, als sie die Straße erreicht hatten, und es war keine einzige Droschke in Sicht – noch nicht. Aber bei seinem jetzigen Tempo würde er gewiß bald eine auftreiben.
Sie machte einen weiteren Vorschlag. »Könntest du nicht ein bißchen langsamer laufen, Warren?«
Ein erneutes barsches »Nein« war die Antwort. »Wenn nicht, verstauche ich mir noch den Fuß, und du mußt mich tragen.«
Sein Schritt verlangsamte sich augenblicklich. Ihren Arm zu halten und sie hinter sich her zu ziehen, mußte ihn schon verrückt machen. Mochte Gott ihn davor bewahren, auch noch den Arm um sie legen zu müssen.
Aber jetzt, da er den Schritt verlangsamt
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