Malory
sie jetzt einen mächtigen Feind, der ihrem lukrativen Chinahandel ein abruptes Ende bereitet hatte.
Warren und Clinton, die diese Route schon oft gefahren waren, weinten dem Verlust nicht wirklich nach. Denn diese Reisen waren zu lang gewesen und hatten sie manchmal für mehrere Jahre von zu Hause ferngehalten. Warren gefiel auch dieser Englandhandel nicht besonders – die Kriegsjahre waren schwer zu vergessen, wie die Narbe auf seiner Wange, die von einem britischen Säbel stammte. Doch Georgina war hier –
unglücklicherweise –, und wenn sie ihr schon regelmäßig Besuche abstatteten, konnten sie auch gleich das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden.
Warren war überstimmt worden, was die Errichtung eines Büros in London betraf. Daß er sich aber freiwillig erboten hatte, in London zu bleiben und es zu eröffnen, war völliger Unsinn gewesen. Und jetzt hatte er hier, abgesehen von seinem Schwager, einen wirklich erbitterten Feind dem es ein ungeheueres Vergnügen wäre, ihn einen Kopf kürzer zu machen. Verdammt und zugenäht, wie die Malory-Brüder sagen würden.
Kapitel 27
Amy war der Verzweiflung nahe. Fast eine Woche war vergangen, seit sie Warren auf dem bedeutsamen Ball zum letzten Mal gesehen hatte. Sie war so sicher gewesen, daß er diesmal nicht lange fernbleiben würde – aber genau das tat er. Und Onkel James hatte ihn mit keinem Wort erwähnt, auch Georgina nicht. Die beiden verhielten sich so, als ginge sie ihr Entschluß, Warren für sich zu gewinnen, überhaupt nichts an.
Das beunruhigte Amy sehr. Wußten sie etwas, was sie, Amy, nicht wußte? Hatte Warren seine Pläne geändert und England vielleicht schon verlassen?
Diese Ungewißheit bewog sie, Warrens Schwester ohne Umschweife zu fragen: »Wo ist er? Hast du etwas von ihm gehört? Ist er schon fort?«
Georgina war eben mit der Haushaltsbuchführung beschäftigt. Sie hatte inzwischen die meisten ihrer Pflichten wieder selbst übernommen, so daß Amy mehr Zeit blieb, sich ihren Sorgen hinzugeben.
Sie ließ ihren Stift sinken. »Ich nehme an, du meinst Warren?« Amy schaute sie nur finster an. »Was für eine dumme Frage von mir! Nein, Warren ist nicht fort. Aber er ist sehr beschäftigt, er muß das Personal für sein neues Büro einar-beiten.«
Das klang plausibel, fast zu plausibel. »Nur Arbeit? Sonst nichts?«
»Was glaubtest du?«
»Daß er mich meidet.«
»Tut mir leid«, sagte Georgina. »Aber wahrscheinlich tut er das auch.«
»Hast du etwas von ihm gehört?«
»Er schickt hin und wieder eine Nachricht.«
Georgina hätte ihr gerne mehr gesagt, etwas Tröstliches, aber ihr starrköpfiger Bruder ging auch ihr aus dem Weg. Sie war inzwischen überzeugt, daß Amy die Richtige für Warren war, das aber hätte sie James gegenüber besser nicht erwähnt.
Seine Reaktion war äußerst heftig gewesen. Er hatte doch tatsächlich gedroht, sich von ihr scheiden zu lassen, wenn sie Amy irgendwie helfen würde. Nicht, daß sie das eine Sekunde lang geglaubt hatte, aber sie konnte sich vorstellen, daß er sehr unangenehm werden würde, wenn sie in diesem Punkt gegen seinen Willen handelte.
Zunächst einmal würde sie also nichts unternehmen. Amy würde ihr Ziel allein weiterverfolgen müssen, aber Georgina wünschte ihr viel Glück dabei.
»Wo ist das neue Büro der Skylark eigentlich?« fragte Amy plötzlich.
»In der Nähe der Docks – keine sichere Gegend für ein junges Mädchen. Also komm nicht auf die Idee, ihn dort aufzusuchen.«
Amy wollte Warren dort, umringt von seinen Angestellten, gar nicht sehen, sie war nur neugierig gewesen. Georginas Antwort indes brachte sie auf eine andere Idee.
Amys nachdenklicher Blick war Georgina nicht entgangen.
»Du kannst nicht dorthin gehen«, sagte sie mit Nachdruck.
»Will ich auch gar nicht.«
»Versprochen?«
»Ja.«
Aber Amy würde nicht versprechen, Warren auch anderswo nicht zu suchen, und sie kannte nur einen anderen Ort, wo sie ihn mit Sicherheit finden könnte: sein Hotel. Zum Glück war es nicht gefährlich für sie, dorthin zu gehen – nicht wie ihr Ausflug ins Hell and Hound. Warrens Hotel war nobel und lag in einem noblen Viertel. Amy und ihre Mutter hatten dort schon öfter zu Mittag gegessen.
Natürlich war Amy nie allein dort gewesen, schon gar nicht abends, doch nur abends konnte sie hoffen, Warren in seinem Zimmer anzutreffen. Daran war nichts Anstößiges. Problematischer würde es schon sein, sich unbemerkt aus dem Haus zu stehlen und sich später wieder
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