Malory
der Cognacflasche und wollte sie dem Glas schon nachwerfen. Statt dessen führte er sie an seine Lippen. Weshalb auch nicht?
Ja, sie hätte ihm etwas gesagt, wenn sie bei ihrer Eheschließung schwanger gewesen wäre. Er erinnerte sich wieder daran, daß sie sich mehrfach von anderen Männern hatte begleiten lassen. Er erinnerte sich dabei insbesondere an George Fowler und an die Weißglut, in die ihn das gebracht hatte. War das Intuition gewesen? Hatte er damals schon gewußt, daß dieser junge Halunke sie nicht auf direktem Weg nach Hause bringen würde?
Nicholas war so wütend, daß er kaum noch einen klaren Gedanken fassen konnte. Er hatte sich von dem Moment an, in dem er von der Geburt erfahren hatte, bemüht, nicht an dieses Kind zu denken. Sein Sohn sollte das also sein? Sollte sie nur versuchen, ihn davon zu überzeugen!
28.
Reggie lächelte gedankenverloren, als die kleine Faust ihre Brust knetete. Es hatte ihr immer besonders großen Spaß gemacht, ihren Sohn zu stillen, aber heute abend weilten ihre Gedanken unten im Salon. Sie bemerkte es noch nicht einmal, als der kleine Mund zu saugen aufhörte.
»Er schläft wieder, Reggie«, flüsterte Tess.
»O ja, stimmt. Aber doch noch nicht lange, oder?«
Reggie hob das Baby sachte auf ihre Schulter und tätschelte ihm den Rücken. Sein Kopf schmiegte sich an sie, und es atmete tief ein, ehe es wieder einschlief. Sie lä-
chelte ihr früheres Kindermädchen an, das jetzt ihren Sohn betreute.
»Vielleicht schläft er diesmal gleich weiter«, flüsterte Reggie, als sie den Jungen wieder in sein Bettchen legte.
Aber in dem Moment, in dem sie ihn auf den Bauch gelegt hatte, hob er ruckartig den Kopf, strampelte mit den Beinen und schlug seine forschenden Augen auf.
»Damit war ja zu rechnen«, sagte Tess fröhlich. »Er braucht jetzt einfach nicht mehr soviel Schlaf. Schließlich wird er immer älter.«
»Dann muß ich wohl jemanden einstellen, der dir hilft.«
»Unsinn!« schalt Tess sie aus. »Wenn er sechs Monate alt ist und anfängt rumzukrabbeln - dann ist mir Hilfe recht.«
»Wie du meinst«, sagte Reggie lachend. »Aber du wirst jetzt gehen und essen. Ich bleibe inzwischen bei ihm.«
»Nein, das wirst du nicht tun, Mädchen. Du hast Gesellschaft, man erwartet dich unten.«
»Ja«, seufzte Reggie, »aber da ich meinem Mann nichts zu sagen habe, verbringe ich den Abend hier oben. Nun geh schon, Tess. Und laß mir bitte das Dinner herauf-schicken, ja?«
»Aber...«
»Nein.« Reggie nahm das hellwache Baby wieder auf ihren Arm. »Dieser junge Herr hier ist die einzige Gesellschaft, die ich mir jetzt wünsche.«
Kaum war die Tür hinter Tess ins Schloß gefallen, legte Reggie das damenhafte Verhalten ab, das sie zur Schau gestellt hatte, kniete sich auf den Fußboden, um mit ihrem Sohn zu spielen, machte seine Laute und Gesten nach und versuchte, ihn zum Lächeln zu bringen. Richtig lachen konnte er noch nicht, aber bald würde es soweit sein, denn er hörte wirklich genug Gelächter um sich herum.
Seine zahlreichen Besucher, vom Personal bis zu ihren Onkeln, bemühten sich alle, ihn mit verrückten Possen zu erheitern, und die Scherze aller anderen waren bestimmt genauso albern wie die seiner Mutter.
Wie sehr sie dieses kleine Wesen liebte... Kurz vor seiner Geburt war sie wieder entsetzlich niedergeschlagen gewesen. Aber nach der Niederkunft, die den Arzt überrascht hatte, weil er nicht verstand, daß ein erstes Kind so mühelos geboren werden konnte, war Reggie euphorisch gewesen. Dieses Baby versüßte ihr das Leben. In den beiden vergangenen Monaten war sie wirklich so sehr damit beschäftigt gewesen, Dinge dazuzulernen und ihre Mut-terschaft zu genießen, daß sie kaum noch an Nicholas gedacht hatte, wenigstens nicht öfter als ein Dutzend Mal täglich.
»Aber jetzt ist er wieder da, mein Liebling. Was sollen wir bloß tun?« seufzte Reggie.
»Du erwartest doch nicht, daß er dir darauf eine Antwort gibt?«
»O Meg, du hast mich erschreckt.«
»Soll ich das auf den Boden stellen?« Meg hielt ein Tablett in der Hand. »Ich bin dem Kindermädchen auf der Treppe begegnet.«
»Dort drüben auf den Tisch, bitte. Und jetzt erzähl mir genauer von dem Abend, an dem du mit Harris ausgegangen bist.«
Nicholas hatte Harris hiergelassen, zum großen Kummer des Kammerdieners. Der arme Mann hatte ihn in all diesen Monaten vermißt, und besonders unglücklich war er gewesen, nachdem Reggie in Nicholas' Stadthaus eingezogen war. Er hatte sich
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