Malory
irgendwelche Geschäfte zu erledigen hatte, konnte er sein Glück kaum fassen. Ja, am nächsten Morgen wollte der Lord wieder zurück aufs Land fahren. Hätte Tyrus auch nur einen Tag länger überlegt, dann hätte er ihn verpasst.
Natürlich konnte es sein, dass der Lackaffe ihn nicht empfing, wenn er seinen Namen hörte. Schließlich war ihre Zusammenarbeit damals im Streit zu Ende gegangen, weil Tyrus versagt hatte. Womöglich würde der Lord sogar erneut versuchen, ihn umzubringen. Doch Tyrus hielt sich vor Augen, dass dies im Affekt geschehen war und der Lord fünfzehn Jahre Zeit gehabt hatte, sich wieder zu beruhigen.
Er musste allerdings warten, fast drei Stunden lang.
Mit voller Absicht; daran hatte er keinen Zweifel. Er dachte jedoch nicht daran, wieder zu gehen, falls der Lord dies gehofft hatte. Er würde eine Menge Geld dafür verlangen, den Auftrag zu Ende auszuführen, für den er vor Jahren angeheuert worden war. Dafür lohnte es sich, ein wenig zu warten.
Es ging bereits gegen Mitternacht, als die Hausangestellte endlich kam, um ihn zu ihrem Dienstherrn zu bringen. Der Lord saß in einem büroähnlichen Zimmer im hinteren Teil des Hauses an einem Schreibtisch, flan-kiert von zwei ziemlich übel aussehenden Schlägertypen.
Tyrus bekam feuchte Hände.
Nun musste er sich doch fragen, ob er sich etwas vor-gemacht hatte. Den Lord zu Hause anzutreffen war vielleicht nicht so ein Glück, wie er zunächst angenommen hatte. Hatte man ihn warten lassen, damit die beiden Schlägertypen herbeizitiert werden konnten, um ihn umzubringen?
Bevor der Lord den Befehl geben konnte, ihn aus dem Weg zu schaffen, und zwar endgültig, platzte Tyrus heraus: »War nicht hergekommen, wenn ich nicht glauben würde, Sie wollen bestimmt hören, was ich zu sagen hab.«
»Setzen Sie sich, Mr Dyer.«
Tyrus atmete erleichtert auf und nahm mit großspuri-gem Grinsen vor dem Schreibtisch Platz. Die beiden Schlägertypen verzogen keine Miene, ließen ihn allerdings nicht aus den Augen. »Sie erinnern sich an mich, oder?«
»Leider, ja, zumindest an Ihren Namen. Ich muss gestehen, ich hätte Sie nicht wiedererkannt. Sie haben sich äußerlich sehr verändert.«
Unwillig verzog Tyrus die Lippen. Der Lackaffe spielte natürlich auf sein Haupthaar an. Zweiundvierzig Jahre alt, noch kein Fältchen im Gesicht, aber sein Haar war schon vor ein paar Jahren vollkommen grau geworden.
Der Lackaffe hatte sich dagegen kaum verändert. Er musste inzwischen auf die Fünfzig zugehen, sah jedoch viel jünger aus.
»Liegt in der Familie«, log Tyrus. »Ist es Ihnen gut ergangen, Mylord?«
»Ausgezeichnet – aber Ihnen habe ich das nicht zu verdanken.«
Tyrus war sich nicht sicher, ob er froh sein sollte, dies zu hören. Wenn der Lackaffe das Mädchen nicht mehr unbedingt loswerden wollte, würde er nicht dafür zahlen.
Wenn jedoch andererseits seine Taschen heute wohl ge-füllt waren, würde er, damit die Angelegenheit erledigt wurde, womöglich sogar mehr springen lassen, als Tyrus verlangen wollte.
»Es ist schon spät«, sagte der Lord müde. »Sagen Sie, was Sie wollen, Mr Dyer.«
Tyrus nickte. »Ich habe das Mädchen gefunden, die Kleine, die damals entkommen ist. Sie lebt noch.«
»Ja, ich weiß.«
Tyrus’ Hoffnungen zerstoben in alle Winde. »Das wissen Sie?«
»Kürzlich gab es auf der Straße vor meiner Bank einen kleinen Aufruhr. Ich stand so nahe dabei, dass ich erkennen konnte, was los war. Wollte meinen Augen kaum trauen, als ich sah, dass das Mädchen den Wirbel verur-sachte.«
»Ich weiß, was Sie meinen. Hab auch gedacht, ich seh nicht recht.«
»Ich hatte sie schon fast vergessen. Ich hätte sie damals, als sie nicht wieder auftauchte, ja für tot erklären lassen, aber man hat mich ... nun ja, davon überzeugt, dass das keine gute Idee wäre.«
»Sie haben sie nicht verfolgt?«
»O doch, gewiss, aber ein paar Häuserblocks weiter habe ich sie aus den Augen verloren.«
»Ich nicht. Ich weiß, wo sie wohnt.«
Der Lord hatte sich die ganze Zeit auf seinem Stuhl zu-rückgelehnt und dadurch den Eindruck erweckt, als ob ihn das Ganze nicht besonders interessierte. Nun aber setzte er sich abrupt auf, sodass Tyrus sich wieder Hoffnungen zu machen begann. »Wo?«
Tyrus lachte auf. »Sie glauben doch nicht, dass ich Ihnen solche Informationen umsonst gebe?«
Der Lord lehnte sich zurück und gab seinen beiden Helfern ein Zeichen, woraufhin sie um den Schreibtisch herumkamen. Tyrus hätte beinahe seinen Stuhl
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