Malory
sie nicht bei Ihrer Abendgesellschaft?
Und wo war eigentlich Ihr Vater?«
»Sie haben meinen Onkel Jason auf dem Land besucht. Er ist unser Familienoberhaupt und kommt nur selten in die Stadt. Wenn wir ihn sehen wollen, fahren wir also auf den Stammsitz der Familie in Haverston. Aber so kleine Kinder dürfen ohnehin normalerweise nicht an den Gesellschaften der Erwachsenen teilnehmen.«
»Nicht mal an Familienfeiern?«, wunderte sich Danny.
Jeremy grinste. »Wir haben es ausprobiert. In unserer Familie gibt es inzwischen reichlich Nachwuchs. Wenn die Kleinen alle zusammentreffen, kommt man sich vor wie auf dem Schlachtfeld.«
Danny lachte ein wenig. »Das hab ich auch ein paar Mal erlebt.«
»Tatsächlich? Waren in deiner Bande von Tauge-nichtsen viele Kinder?«
»Fast ausschließlich, und alles Waisen wie ich. Dagger hat für ein Dach überm Kopf und was zu essen gesorgt und hat uns beigebracht, uns durchzuschlagen.«
»Du meinst: zu stehlen.«
»Das auch.«
»Ihr habt ihn euch zum Anführer gewählt, stimmt’s?
Und er war derjenige, der dich rausgeworfen hat?«
Danny nickte knapp und wandte sich ab, um sich wieder dem Staubwischen zu widmen. Offenbar ein heikles Thema. Wahrscheinlich war das alles noch so frisch, dass sie nicht darüber reden wollte. Jeremy wunderte sich ohnehin, dass sie so gesprächig war, nachdem sie sich bisher stets geweigert hatte, darüber etwas zu sagen.
»Setz dich doch, Danny«, schlug er freundlich vor.
»Ich würde dir gern noch ein paar Fragen stellen. Dazu kannst du es dir ebenso gut bequem machen.«
Er deutete aufs Sofa. Danny starrte einen Augenblick darauf, dann schüttelte sie den Kopf. »Das würde sich nicht schicken, oder? Setzen Sie sich. Ich stehe ganz gut hier.«
»Was ich dich fragen möchte, ist eher ... persönlich.
Wirklich, es ist völlig in Ordnung, wenn du Platz nimmst.«
»Damit Sie neben mir sitzen und wieder Ihre Tricks versuchen können? Ich durchschaue Sie jetzt, Mann.
Geben Sie’s auf.«
»Kommt gar nicht infrage, Schätzchen.« |
Ohne es zu wollen, sah Jeremy sie plötzlich so voller Leidenschaft an, dass Danny nach Luft schnappte und rasch wegschaute. Sie begann sogar, sich mit ihrem Staubwedel Luft zuzufächern, offenbar ohne es zu merken. Als es ihr auffiel, gab sie einen Ton von sich, der wie ein Stöhnen klang.
Nun steckte Jeremy in einer Zwickmühle: Sollte er es ausnutzen, dass er sie erregt hatte, oder sollte er weiter seinen Plan verfolgen, sie besser kennen zu lernen? So sehr es auch seinen Instinkten widersprach, war er doch gezwungen, sich für Letzteres zu entscheiden. Er wollte einfach mehr von Danny als unmittelbare Befriedigung.
Und selbst wenn sie sich ihm hingäbe, fürchtete er, sie würde ihm später vorwerfen, er habe die Situation ausgenutzt, und würde so wütend auf ihn werden, dass sie sofort kündigen würde.
Einen Augenblick später sagte Danny ein wenig außer Atem: »Gut, ich setze mich. Aber Sie pflanzen sich woanders hin, klar?«
Jeremy grinste. Ein Fortschritt, ganz eindeutig ein Fortschritt. Danny nahm tatsächlich auf dem Sofa Platz, allerdings an dem Ende, das am weitesten von Jeremy entfernt war. Seufzend ging er zu dem anderen Sofa, das gegenüber stand.
»Es dauert doch nicht lange, oder?«, fragte Danny. Sie klang etwas ungehalten, nun da sie nachgegeben hatte.
»Ich hab noch viel zu tun.«
»Es könnte eine Weile dauern, aber das wird es wahrscheinlich nicht. Und mach dir keine Sorgen wegen deiner Arbeit, wenn ich selbst dich davon abhalte. Solltest du heute nicht fertig werden, nehme ich die Schuld auf mich.«
»Also, was wollen Sie wissen?«
»Lass uns mit deinem Alter beginnen.«
»Ich dachte, das hab ich schon gesagt.«
»Fünfzehn, oder?«
»Nee, zehn. Bin nur groß für mein Alter.«
Jeremy brach in Gelächter aus. Da Danny das jedoch nicht so lustig zu finden schien, versuchte er rasch, sich zu beherrschen, und fragte: »Du bist also wann zur Waise geworden? Mit zwei oder drei Jahren?«
»Ich schätze eher mit vier oder fünf, vielleicht sogar mit sechs.«
»Dann bist du jetzt um die zwanzig? Eventuell sogar einundzwanzig?«
Danny nickte, allerdings sehr knapp. Sie war immer noch angespannt, und Jeremy wusste nicht recht, was er dagegen tun sollte, da er selbst der Grund für ihre Ner-vosität war. Er hatte gehofft, sie würde gesprächiger werden und vergessen, dass sie lieber ganz woanders wäre als hier, wo er sich mit ihr unterhalten wollte.
Er versuchte es anders. »Hast
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