Malory
Nacht hatte sie sich stundenlang von einer Seite auf die andere gewälzt, ohne Schlaf zu finden, und diesmal konnte sie nicht einmal jemand anderem die Schuld daran geben. Sie hatte Gewissensbisse verspürt, weil sie Anthony nachmittags so ungnädig behandelt hatte. Das mindeste wäre doch wirklich gewesen, ihn auszuziehen und zuzudecken, sie aber hatte ihn einfach liegengelas-sen und sich nicht weiter um ihn gekümmert. Immerhin war er ihr Ehemann. Sein Körper war ihr vertraut, also wäre nichts Peinliches daran gewesen.
Im Laufe des Abends war sie mehrmals nahe daran gewesen, ihn doch noch ordentlich zu Bett zu bringen, hatte es dann aber doch unterlassen, weil sie befürchtete, er könnte
aufwachen
und
ihr
Verhalten
falsch
auslegen.
Und nachdem sie selbst zu Bett gegangen war, hatte sie natürlich erst recht nicht mehr in sein Schlafzimmer gehen können, denn einen Besuch im Nachtgewand hätte er mit Sicherheit mißdeutet.
Sie ärgerte sich über ihre Schuldgefühle. Er verdiente überhaupt kein Mitleid. Wenn er sich betrinken und sie dafür verantwortlich machen wollte, so war das seine Sache. Und wenn er jetzt einen mordsmäßigen Kater hatte, so geschah ihm das nur recht. Für Exzesse mußte man eben bezahlen. Warum hatte ihr dann aber die Vorstellung, daß er hilflos auf seinem Bett lag, die Nachtruhe geraubt?
»Wenn das Essen so miserabel ist, daß du es nur mit finsterer Miene anstarrst und unberührt stehenläßt, sollte ich vielleicht lieber im Klub frühstücken.«
Roslynn blickte auf und war so perplex über Anthonys plötzliches
Auftauchen,
daß
sie
nichts
anderes
heraus-
brachte als: »Das Essen ist ganz in Ordnung.«
»Wunderbar!« rief er fröhlich. »Dann darf ich mich zu dir setzen?«
Er wartete ihre Antwort gar nicht erst ab und ging zur Anrichte, wo er seinen Teller mit verschiedenen Speisen füllte. Roslynn betrachtete wütend diese tadellos gekleidete hohe Gestalt. Er trug ein dunkelbraunes Reitjackett, eine Wildlederhose und glänzende Schaftstiefel. Er hatte kein Recht, an diesem Morgen so blendend auszusehen und so frohgemut zu sein. Er müßte ächzen und stöhnen und seine Dummheit verfluchen.
»Du hast lange geschlafen«, sagte sie kühl, während sie mit der Gabel in ein fettes Würstchen auf ihrem Teller stach.
»Oh, ich bin gerade von meinem Morgenritt zurückgekommen.« Er nahm ihr gegenüber Platz und warf ihr einen fragenden Blick zu: »Bist du denn erst jetzt aufgestanden, meine Liebe?«
Es war nur gut, daß sie den Bissen noch nicht zum Mund geführt hatte, sonst hätte sie an Anthonys scheinbar
unschuldiger
Frage
leicht
ersticken
können.
Wie
konnte er es wagen, sie um die Genugtuung zu bringen, ihn wegen seines Zustands vom Vortag zur Rede zu stellen? Und genau das tat er, indem er hier seelenruhig da-saß und herzhaft frühstückte, so als hätte er die herrlich-ste Nacht seines Lebens hinter sich.
Anthony erwartete keine Antwort auf seine Frage. Er beobachtete
amüsiert,
wie
Roslynn
ihr
Essen
hinunter-
würgte und so tat, als wäre er überhaupt nicht vorhan-den. Sie zu reizen, bereitete ihm ein diebisches Vergnü-
gen.
»Mir ist vorhin in der Halle ein neuer Wandbehang aufgefallen.«
Sie würdigte ihn keines Blickes, obwohl es eine grobe Beleidigung war, den teuren, antiken Stücken nachemp-fundenen Gobelin einfach als Wandbehang zum bezeichnen. »Eigenartig, daß er dir nicht schon gestern nachmittag aufgefallen ist.«
Bravo, Liebling! Er lächelte inwendig. Sie wollte ihn wegen gestern nicht ungeschoren davonkommen lassen.
»Und einen neuen Gainsborough haben wir ja auch«, setzte
er
die
Konversation
mit
einem
anerkennenden
Blick auf das herrliche Gemälde an der Wand zu seiner Linken fort.
»Der neue chinesische Rosenholzschrank und der Eß-
tisch müßten heute geliefert werden.«
Sie hielt ihre Augen noch immer auf den Teller gerichtet, aber ihr plötzlicher Stimmungswechsel entging Anthony
nicht.
Anstatt
vor
mühsam
unterdrücktem
Zorn
zu kochen, schnurrte sie jetzt förmlich vor Zufriedenheit.
Anthony konnte sich nur mit größter Mühe das Lachen verbeißen. Sie war so leicht zu durchschauen, seine süße Frau. In Anbetracht ihrer derzeitigen Antipathie gegen ihn war es wirklich nicht schwer zu erraten, was sie im Schilde führte. Daß eine Frau ihren Unmut am Geldbeutel des Mannes ausließ, war ein uralter Trick. Und aus
früheren
Bemerkungen
Roslynns
hatte
er
entnom-
men, daß sie glaubte, sein
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