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Malory

Malory

Titel: Malory Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 02. Lodernde Leidenschaft
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Bank; zumindest die Beine von etwas, das wie eine Bank aussah, während der Sitz hinter einem tief herabhängenden Ast wie hinter einem Vor-sprung verborgen war. Großartig! Sie konnte ihre Füße auf den Sitz hochziehen und wäre dann fast unsichtbar, falls jemand
    herauskommen
    sollte.
    Unsichtbar zu
    sein,
    wäre zur Abwechslung herrlich!
    Roslynn rannte auf diese nur wenige Meter entfernte Bank zu, die ihr wie ein unverhoffter Zufluchtsort erschien, und befürchtete nur, daß jemand sie durchs Fenster sehen könnte, daß sie es nicht schaffen würde, mit der Dunkelheit unter dem dichten Geäst zu verschmel-zen. Es war lächerlich, welche Bedeutung sie dieser kurzen Verschnaufpause plötzlich beimaß. Lange konnte sie ohnehin nicht wegbleiben, sonst würde Frances sich Sor-ten machen. Und dann blieb sie jäh stehen, förmlich zur Salzsäule erstarrt. Es gab keinen Zufluchtsort für sie. Die Bank, ihre Bank, war besetzt.
    Sie stand in einem Lichtkreis und starrte auf etwas, das aus der Entfernung wie ein dunkler Schatten ausgesehen hatte, sich nun aber als schwarz bekleidetes Männerbein entpuppte. Der Fuß stand auf dem Sitz, auf dem sie es sich hatte gemütlich machen wollen. Ihr Blick schweifte hoher, zu einem gebeugten Knie, und sie stellte fest, daß der Mann sich auf die Rückenlehne stützte und eine halb sitzende, halb stehende Position einnahm. Seine Unterarme lagen lässig auf dem gebeugten Knie, die Hände mit den langen, schlanken Fingern waren entspannt und hoben sich von der schwarzen Hose ab. Ein Stück höher waren breite, leicht nach vorne gebeugte Schultern und eine locker gebundene weiße Krawatte zu sehen. Seine Gesichtszüge waren im Schatten nur ein grauer Fleck, umrahmt von dunklem Haar.
    Sogar aus der Nähe verschwamm seine Gestalt fast mit der Dunkelheit, aber es handelte sich zweifellos um einen lebendigen Mann, auch wenn er beharrlich schwieg.
    Heftiger Zorn stieg plötzlich in ihr auf. Sie wußte, daß er si e
    im Licht, das aus dem Haus kam, deutlich sehen konnte; und wo dieses Licht nicht hinfiel, blieb immerhin der
    silberne
    Mondschein.
    Er
    hatte
    höchstwahrscheinlich
    beobachtet, wie sie hinter der Tür hervor in den Ballsaal gespäht hatte, so als wäre sie ein kleines Kind, das Verstecken spielte. Und er sagte kein Wort. Er bewegte sich nicht. Er betrachtete sie nur aufmerksam.
    Ihre Haut brannte vor Scham, und sie ärgerte sich maßlos, daß er stumm blieb, so als wäre er noch immer unsichtbar für sie. Er hätte sie beruhigen müssen. Ein Gentleman hätte ihr versichert, daß auch er sie soeben erst bemerkt habe, selbst wenn es nicht stimmte.
    Sie wäre am liebsten geflüchtet, aber sie mußte wissen, wer er war, denn andernfalls würde sie sich in Zukunft bei jedem Mann, den sie kennenlernte, unwillkürlich fragen, ob es sich um jenen Unbekannten im Garten handelte, ob er sich insgeheim über sie amüsierte. Das wür-de ihre zahlreichen Sorgen nur noch unnötig vermehren.
    Deshalb blieb sie stehen und faßte den Entschluß, ihn nach seinem Namen zu fragen, ihn - wenn notwendig
    - sogar mit Gewalt ins Licht zu zerren. Sie war so wü-
    tend, daß sie sich durchaus dazu imstande fühlte. Und dann, von einer Sekunde zur anderen, vergaß sie diesen Vorsatz. In einem Raum im oberen Stockwerk war Licht gemacht
    worden,
    und
    ein
    goldener
    Lichtstrahl
    drang
    durch das Laubwerk des Baumes und verwandelte den undeutlichen grauen Fleck in ein Gesicht.
    Roslynn war auf diesen Anblick einfach nicht vorbereitet. Sie vergaß zu atmen und verspürte eine totale Leere im Gehirn.
    Ein breiter Mund, die Winkel leicht nach oben gebo-gen. Eine energische Kinnpartie. Eine stolze Adlernase.
    Dunkel
    gebräunte
    Haut,
    umrahmt
    von
    lockigem
    Haar,
    schwarz wie Ebenholz. Die Augen - Gott beschütze die Unschuldigen
    vor
    solchen
    Augen!
    -
    waren
    strahlend
    blau, ganz leicht schräg, mit schweren Lidern. Es waren exotische,
    hypnotisierende
    Augen,
    beschattet
    von
    lan-
    gen Wimpern. Der abschätzende Blick war kühn und sinnlich - er strahlte Wärme aus, viel zuviel Wärme.
    Erst ein akuter Luftmangel brachte Roslynn wieder zur Besinnung. Sie atmete tief durch. Es war einfach unfair.
    Aber Großvater hatte sie ja gewarnt. Sie wußte es auf An-hieb. Dieser Mann gehörte zu jenen, die ›nicht in Betracht kamen«. Er war viel zu attraktiv, als daß es anders ein könnte.
    Ihr vorheriger Zorn war verflogen. Und doch verspür-te sie das unerklärliche Verlangen, ihn zu ohrfeigen, weil er das war,

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