Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
Männer. Wenn sie
schrien, verhallten ihre Stimmen in der dornigen Halbwüste wie das Meckern der Ziegen. Ich verbrachte jetzt viel Zeit bei ihnen. Wenn ich nicht mit meinen Freunden spielte, saß ich bei ihnen im Schatten unter den dichten Schirmakazien und schaute zu, wie sie gemeinsam Ziegenhäute streckten und gerbten, auf denen wir schliefen. Dabei sangen sie oft Lieder über geheime Liebschaften. Denn viele von ihnen trafen sich heimlich mit Liebhabern, da ihre polygamen Männer nicht genug Zeit mit ihnen verbrachten. Die Männer verschwanden oft tagelang, weil sie ihre anderen Frauen der Reihe nach besuchten. Ertappten die Ehemänner ihre Frauen dabei, wie sie Liebeslieder über andere Männer sangen, setzte es Schläge, die die Frauen hinnahmen und sogar für angebracht hielten.
Ich selbst wurde als Kind kaum geschlagen. Wenn mein Vater da war, verhinderte er das. Meistens setzte er sich mit mir hin, nahm meine Hand und erklärte mir, ich solle immer fleißig sein. »Nur so wirst du ein guter Mensch. In unserem Dorf müssen alle mithelfen, auch du. Damit du stark wirst.« Manchmal brachte ich ihn auch einfach zum Lachen, wenn ich etwas ausgefressen hatte, und sein Zorn verflog. Meinen jüngeren Bruder Tiras, mit dem ich viel Zeit verbrachte, schlug er dagegen öfter, während er bei mir immer Gnade walten ließ. Ich glaube, ich stand ihm sogar näher als seine Söhne.
Eines Tages hatten Tiras und ich einen kleinen Holzschemel beschädigt, der vor unserer Manyatta stand, seit ich denken kann. Nur die alten Männer aus dem Dorf durften auf diesem alten Hocker sitzen. Wir hatten mit ihm gespielt, dabei war er uns ein paarmal umgefallen und am Ende zerbrochen. Die Überbleibsel hatten wir unbemerkt vor unsere Manyatta gelegt. Meine Eltern bemerkten das kleine Häufchen Holz, das vom Schemel übrig geblieben war, erst spät abends, als Ruhe im Dorf eingekehrt war. Der Aufschrei meiner Mutter hallte daher durch das ganze Tal. Tiras und ich zuckten zusammen. Wir wussten sofort, was passiert war, ließen uns aber nichts
anmerken. Meine Mutter jammerte und betete: »Möge Ngai uns schützen.« Ein zerbrochener ritueller Schemel. Was hatte das zu bedeuten?, rätselte mein Vater. Hoffentlich nicht der Vorbote eines großen Unheils. In jedem Fall ein schlechtes Omen. Mein Vater war zutiefst bestürzt.
Als Tiras und ich merkten, wie viel der Hocker unseren Eltern bedeutete, schwiegen wir. Um den Fall aufzuklären, rief mein Vater einen Hellseher, der sofort zum Meditieren in unserer Manyatta verschwand. Als er wieder herauskam, erklärte er, dass zwei Kinder, ein Junge und ein kleines Mädchen, deren Haut hell wie Honig sei, die Übeltäter wären. Damit stand sofort fest, dass mein Bruder und ich gemeint waren. Aus Furcht vor einer fürchterlichen Tracht Prügel begannen wir zu weinen, bis uns unser Vater beiseitenahm und ganz ruhig mit uns sprach. Er war erleichtert, dass es sich um einen Kinderstreich handelte und somit kein Fluch auf unserer Familie lag. Er musste daher keine weiteren Zeremonien einleiten und ermahnte uns nur, zukünftig spezielle rituelle Gegenstände im Haushalt nicht mehr anzufassen.
Kurze Zeit später zogen wir ins Tal hinunter in ein Holzhaus. Die Leute staunten über das moderne Haus, das vor ihren Augen mitten im alten Stadtkern von Wamba entstand. Anders als die Manyattas, die von den Frauen aus Kuhdung gebaut wurden, zimmerten dieses Haus Männer zusammen. In solchen Häusern wohnten bisher nur die Mzungus, die Weißen. Das Ansehen meines Vaters, der mit seinen riesigen Rinder- und Ziegenherden ohnehin einer der reichsten Männer in der Umgebung war, stieg ins Unermessliche. Die Menschen vertrauten meinem Vater und bauten auf seine Weitsicht. Unter seiner Führung würde die Gemeinde zu Wohlstand und Fortschritt gelangen, davon waren sie überzeugt. Täglich bildeten sich lange Schlangen vor seinem neuen Büro, das gleich nebenan errichtet worden war. Sie alle wollten seinen Rat. Stundenlang standen vor allem die alten Männer vor unserem
Haus und palaverten mit meinem Vater. Er war Kummerkasten und Ratgeber zugleich und rund um die Uhr erreichbar.
»Ohne deinen Vater lief nichts«, erzählen mir die Alten, die ihn kannten. Er muss etwa 1920 geboren worden sein. Die Menschen riefen ihn, um Streitereien zu schlichten. Oft dauerten die Verhandlungen und Gespräche tagelang und am Ende gab er seinen Rat. So schaffte er es auch, die ständigen Konflikte mit den Turkana um Weideland
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