Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig
Wir haben Feuerholz geholt«, beteuerte sie. Doch ohne eine Antwort abzuwarten, schlug er in einer dicken Staubwolke weiter auf sie ein. »Lüg mich nicht an. Wo warst du?« Ihr stolzer Blick wirkte auf einmal so verletzbar. Plötzlich schwang der Mann in äußerster Wut einen Holzstock durch die Luft. Ich wollte mich auf sie werfen, doch ich war wie versteinert und schaute hilflos zu, wie er den Stock mit aller Kraft auf die junge Frau schlug. Mama Meroni fiel wie ein gefällter Baum zu Boden. Leblos blieb die Nomadin vor meinen Augen im Staub liegen. Er hatte ihre Hauptschlagader
getroffen und das Blut spritzte aus ihrem Hals wie bei den Ziegen. Hilflos schaute ich zu, wie das Leben langsam aus ihrem Körper sickerte.
Ich spürte sofort, dass etwas Fürchterliches geschehen war. Mir kam es so vor, als wäre die Welt stehen geblieben. Zunächst kam kein Wort über meine Lippen. Entsetzt blickte ich in ihre weit aufgerissenen, leeren Augen, die gen Himmel starrten. Und ich begriff: Sie würde nie wieder aufstehen und mit uns tanzen. Nie wieder wird sie wie eine Lerche in der klaren Samburu-Luft trällern. Dann schrie ich voller Verzweiflung. Mama Meroni war tot. Regungslos lag ihr Körper wie der einer Ziege am Boden in einer riesigen Blutlache, umgeben von uns schluchzenden Kindern. Für uns brach eine Welt zusammen. Einige Erwachsene hatten tatenlos zugeschaut. Nun verscheuchten sie uns Kinder eilig, als wären wir Schmeißfliegen, die es wegzujagen gilt.
Als wollten die Frauen die Erinnerung an diese schreckliche Tragödie schnellstens verwischen, stimmten sie Lieder an und versuchten uns Kinder mit alltäglichen Aufgaben abzulenken: Feuer machen, Mehl stampfen. Sie riefen uns zur Feuerstelle, wo sie Tee kochten. Der alte Samburu habe versehentlich zu hart zugeschlagen, hieß es. Vielleicht habe sie ja auch einen heimlichen Liebhaber gehabt und ihn so in Rage gebracht, munkelten sie – als ob das den Mord an Mama Meroni gerechtfertigt hätte. Die Gelassenheit der Erwachsenen brachte mich fast um den Verstand. Warum war keiner eingeschritten? Machtlos hatten wir zusehen müssen, wie der grimmige alte Samburu die schöne Meroni erschlug. Stoisch saßen die Frauen unter einer Akazie und bereiteten das Essen vor, als wollten sie sich selbst beruhigen. Sie redeten über Banalitäten: das Wetter, das Essen, die Wäsche.
Ich war vielleicht neun Jahre alt und werde den Moment nie vergessen, so tief hat er sich in meine Seele eingebrannt. Wieso durfte der zornige Ehemann auf die gütige junge Frau
einschlagen? Noch lange würde mich diese Frage beschäftigen. Eigentlich mein ganzes Leben lang. Seine Kühe würde ein Samburu-Mann nie so behandeln. Es gibt ein Sprichwort unter den Samburus: »Eine Frau ist wie eine Stock. Wenn er zerbricht, holst du dir einen neuen.« In jener Nacht schwor ich, gegen diese Unmenschlichkeit vorzugehen, wenn ich erwachsen wäre. Erst dann konnte ich meinen Tränen freien Lauf lassen, wich die Wut der Trauer.
Am nächsten Tag suchte ich Trost bei den Frauen, die in der sengenden Hitze singend unter einer Schirmakazie saßen und Perlen zu bunten Ketten auffädelten. Der Gesang und die Hitze legten sich beruhigend auf mein Gemüt. Wohlig lehnte ich mich an die Frauen an. In ihrem Kreis fühlte ich mich geborgen. Alle dachten wahrscheinlich dasselbe: Es hätte auch eine von ihnen sein können. Doch keine wagte, darüber zu sprechen. Stattdessen redeten sie mit gedämpften Stimmen über die diesjährige Trockenheit und die Weideplätze für die Tiere.
Eine ganze Zeit lang nach diesem schrecklichen Unfall plagten mich Albträume. Nach und nach veränderte sich der Traum, aber es ging immer um jenen fatalen Nachmittag, als Mama Meroni vor meinen Augen starb. In Zeitlupe schaute ich zu, wie der Mann seine Ehefrau anfiel. Doch in letzter Sekunde verwandelte sie sich in eine weiße Ziege und hüpfte meckernd davon. In manchen Nächten kniete ich im Traum neben der Nomadin, schaute auf ihr Gesicht und richtete sie wieder auf, oder aber ein mächtiger Adler entriss dem Mann in letzter Sekunde den großen Stock und verschleppte den wütenden Samburu ins Gebirge. Mit den Jahren verblasste das Bild ein wenig, doch an den warmherzigen Blick von Mama Meroni erinnere ich mich noch heute.
Von da an beobachtete ich die Frauen ganz genau. Selbst meine starke Mutter wehrte sich nicht, wenn mein Vater sie schlug. Sie nahm es schweigend hin. Andere Frauen im Dorf erlitten widerstandslos Fußtritte ihrer
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