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Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig

Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig

Titel: Mama Mutig - Virnich, B: Mama Mutig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Birgit;Lolosoli Virnich
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beizulegen, und setzte sich so gut es ging für die Interessen der Samburus ein. Mein Vater war ein Chief, der das Vertrauen der Menschen einer ganzen Region genoss und selbst die unterschiedlichen Samburu-Clans vereinen konnte. Bis heute schwärmen die Menschen rund um Wamba von meinem Vater, der zudem auch als ausgesprochen großzügig galt. Aus dem gesamten Gebiet »Greater Samburu« suchten die Menschen Rat bei ihm und bis heute ist er über alle Stammesgrenzen hinweg bekannt. Als seine Lieblingstochter beobachtete ich manchmal die Einigungsgespräche mit den Männern. Ich glaube, ich bin damals unbemerkt selbst zum Chief herangewachsen.
    Das neue Domizil schien angebrachter für den Chief von Wamba. Meine Familie feierte den Umzug als Fortschritt, während ich herumjammerte und dem Leben in der Natur in unserer Manyatta nachtrauerte. Dort lebten nun die Zweitfrauen meines Vaters, mit denen ich mich allerdings bestens verstand. Wann immer ich Heimweh bekam, schlich ich mich nachts, wenn alle schliefen, aus unserem Haus und lief durch das dornige Buschland den Hang hoch. Eines Nachts bekam ich einen gehörigen Schrecken. Nur ein paar Meter von mir entfernt hörte ich plötzlich ein tiefes Hecheln im Unterholz. Ich wusste sofort, dass es sich um einen Löwen handelte, und rannte so schnell ich konnte zur Manyatta.
    Am nächsten Tag stellte mich mein Vater zu Rede. Er machte sich große Sorgen. In jener Zeit war die Gegend rund um Wamba noch voller Löwen, Elefanten und Nashörner. Ich
hätte großes Glück gehabt, meinte er, dass ich nicht angefallen worden sei, denn nachts gingen die Löwen in unserem Tal gerne auf die Pirsch. Eine Zeit lang hielt ich mich an sein nächtliches Ausgehverbot, doch dann zog es mich wieder in die Manyatta, denn ich fand es herrlich, bei meinen Halbgeschwistern unter freiem Himmel zu schlafen. Ich genoss die Gerüche, das Knacken im Unterholz, die Schreie der Hyänen und Affen. Geräusche, die ich seit meiner frühesten Kindheit kannte. Selbst die Dorfältesten, die ständig auf mich einredeten, konnten mich nicht von meinen riskanten Wanderungen abbringen. Irgendwann gaben die Erwachsenen auf, mich zu ermahnen. Vielleicht dachten sie, ich sei eine zweite Nai Mara Mara und gegen die Angriffe wilder Tiere gefeit.
    Ich glaube, mein Vater verstand genau, warum es mich immer wieder zur Manyatta zog. Er war eigentlich auch viel lieber dort oben am Hang, genoss das Funkeln der Sterne und erzählte dann Geschichten über meinen Großvater, den ich leider nicht mehr kennengelernt hatte. Er war einer der großen »Paramount Chiefs« in einer langen Linie von Oberhäuptern in meiner Familie. Mein Großvater war der letzte richtige Nomade in unserer Familie, der noch mit seinem gesamten Hausstand, seiner Familie und dem Vieh ungehindert durch Landesgrenzen quer durch die Halbwüste bis nach Somalia wanderte. Das Land, so weit das Auge reichte, gehörte niemandem und allen. Mein Großvater kannte keine Grenzen, auch nicht im Denken. Er sei ein Freigeist gewesen, hieß es unter meinen Verwandten, und hatte es trotzdem geschafft, die weitverstreuten Samburu-Nomaden aus unterschiedlichen Clans im Kampf gegen äthiopische und somalische Viehdiebe zu vereinen.
    Doch dann waren die Weißen gekommen, erzählte mein Vater, stellten Zäune auf und zogen Bezirks- und Landesgrenzen, die den Nomaden völlig fremd waren. Das Land der Samburus hieß plötzlich »Northern Frontier District«, nördlicher
Grenzbezirk, und stellte für die britischen Kolonialherren eine Pufferzone zwischen dem reichen kenianischen Hochland und der Grenze zu Äthiopien dar. Die Halbwüste wurde zum Sperrbezirk. Reisende durften die riesigen Weidegründe der Samburus nur mit einer Sondergenehmigung betreten. »Die einzigen Weißen, die sich anfangs hierherverirrten, waren britische Kolonialbeamte und Soldaten. Für sie war unser Land eigentlich nur militärisch und strategisch wichtig, ansonsten waren wir ihnen unheimlich«, erzählte mein Vater. Viehdiebe trieben hier ihr Unwesen und wegen ihrer Raubzüge kam es ständig zu Auseinandersetzungen zwischen den Samburus, den Turkana und den Borana. »Das flößte den Briten Angst ein«, erklärte er. »Sie hielten uns für primitive Nomaden, die sie nicht verstanden und vielleicht sogar verachteten. Unser Lebensstil war ihnen fremd und sie konnten nicht verstehen, wieso wir in dieser unwirtlichen Hölle lebten, die aus ihrer Sicht dem Untergang geweiht war.« Der ohnehin unzugängliche

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