Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
dauert nimmer lang!«
»Sagt des der Doktor?«
»Des braucht er ned sagen, des sieht man! Der is’ ganz gelb im Gesicht! Des Wochenende packt der nimmer!«
Dann erzählte sie, dass ihre Schwester Maria das ganz genauso sehen würde und dass sie das auch ihrer Tante Lisbeth so gesagt hätten. Denn als direkt Betroffene hätte sie halt nicht genügend Abstand zur Sache und würde immer noch hoffen, dass es vielleicht doch nicht so schlimm sei mit dem Onkel und dass er bald wieder nach Hause käme. Aber den Zahn haben ihr ihre beiden Nichten gleich gezogen.
Laut ihrer blumigen Schilderung dürfte das Gespräch vor dem Krankenzimmer von Onkel Albert ungefähr so abgelaufen sein:
Irmi: »Tante Lisbeth, hast du eigentlich an schwarzen Mantel?«
Tante Lisbeth: »Schon – an alten halt. Warum?«
Maria: »Ja, schau dir mal den Onkel an. Den haut’s obe (hinunter)!«
Tante Lisbeth: »Wo obe?«
Irmi: »Ja, übers Stangerl halt.«
Tante Lisbeth: »Ja, aber er schaut doch schon viel besser aus?!«
Irmi: »Der is’ ganz gelb im Gesicht!«
Maria: »Wia a Biskuit vo sechs Eier!«
Tante Lisbeth: »Meint’s ihr wirklich?«
Irmi: »Das Wochenende schafft der nimmer. Drum brauchst an warmen schwarzen Mantel.«
Maria: »Und an gscheiden Hut. Wo bei eurem Friedhof der Ostwind so ums Eck pfeift!«
Tante Lisbeth: »Ja, des kann ich ja immer noch kaufen, wenn’s wirklich so weit is’.«
Irmi: »Tante Lisbeth, heut is’ schon Mittwoch, morgen is’ Donnerstag, da ham die Geschäfte zu, weil a Feiertag is’. Wenn jetzt am Samstag die Beerdigung is’, was machst’n dann?«
Tante Lisbeth: »Ja, dann fahr ich halt am Freitag …«
Maria: »Das Beste wird sein, mir fahren gleich – braucht bloß was sein!«
Irmi: »Und wia leicht is’ was! Und was mir ham, des hamma!«
Diese Tautologie erschien den beiden Schwestern so logisch wie angemessen. Und so fuhren die Irmi und ihre Schwester Maria mit der armen Tante Lisbeth im Schlepptau vom Krankenhaus weg direkt in ein örtliches Bekleidungsgeschäft, um die Tante Lisbeth für die scheinbar unmittelbar bevorstehende Beerdigung bei winterlichen Temperaturen auszustatten. Dass sich die beiden ihrer Sache sehr sicher waren, zeigte sich daran, dass auch sie selber ihre schwarze Garderobe in Gedanken durchgingen und die fehlenden, aber bei der bevorstehenden Kälte doch dringend benötigten Teile käuflich erwarben.
Und in der sicheren Gewissheit, ihrer Tante Lisbeth von großer Hilfe gewesen zu sein, zog Irmi, daheim angekommen, ihre Windjacke aus, hängte sie an einen Haken und setzte sich mit einem tiefen, erschöpften Schnaufer an den Brotzeittisch. Während ihr Mann Bertl amüsiert nachfragte, ob sie denn nicht ein bisserl voreilig gehandelt habe, biss die Irmi schon in ein Stück Kochsalami und schnitt sich die selbst eingelegten Gewürzgurken in kleine mundgerechte Scheiben zurecht.
»Ihr Männer habts ja von so was keine Ahnung. Weil euch des nämlich wurscht is’. Ihr tätet ja auch in einer zerrissenen Hos’n zur Beerdigung gehen. Außerdem hat der Wetterbericht angesagt, dass es am Wochenende saukalt wird!«
Der Bertl war noch nicht überzeugt, und ihm und auch seinen Kindern erschien die Geschichte so skurril wie lustig, sodass sie anfingen, ihre Mutter auszulachen.
»Aber, Mama, was machst jetzt, wenn nix is’? Weil, wenn’s ganz bled lafft, dann wird er vielleicht wieder gsund, da Onkel?«
»Geh, lassts mir doch mei Ruah!«
Damit war das Thema für die Irmi vom Tisch. Der Bertl und die Kinder zogen sie die nächsten Tage immer wieder mit ihrer Vor-Exitus-Einkaufstour auf, aber ihre hämischen Kommentare verstummten, als nach zwei Tagen der Anruf von der Tante Maria kam, dass der Onkel Albert letzte Nacht friedlich eingeschlafen sei und die Beerdigung am Montag bei eisigen Temperaturen stattfinden würde. Die arme Tante Lisbeth sei zwar tief getroffen vom Tod ihres Mannes, aber doch bestens ausgerüstet für den zugigen Gang zum Grab, was ja doch ein sehr großer Trost sei.
Die Irmi war traurig, weil sie die Tante Lisbeth nämlich sehr gern mochte, was sie jedoch nicht daran hinderte, ihren Triumph auszukosten, indem sie seufzte: »Die arme Tante Lisbeth, mei … Aber die warme Pelzhaube wird’s gut brauchen können!«
Bei Familienfeiern kommt heute noch ab und zu die Rede auf diesen Vorfall, und jedes Mal, wenn einer anfängt, das pragmatische Vorgehen der Irmi Gschwendner ins Lächerliche zu ziehen, sagt sie beinahe entrüstet: »Und? Was war?
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