Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
Kleider stets ein stilsicheres Händchen bewiesen hatte).
Meine Oma und meine Mutter einte die Liebe zu einem besonderen Designer: Valentino, dessen wunderbar eleganten, teils herrlich romantischen Märchenroben uns besonders faszinierten, und seine Entwürfe, die wir an berühmten Hollywoodschauspielerinnen bewundern durften, wurden mit vielen »Ahhhs« und »Mei, schau amoi des!« kommentiert. Und bevor die Damen sich von Gala und BUNTE ab- und wichtigeren Dingen, nämlich der Kuchenauswahl, zuwandten, wurde das Thema Mode jedes Mal geschlossen mit dem immer gleichen Satz von mir: »Gell, Mama, wenn ich amal heirat’, dann kauf’ ich mir ein Brautkleid von Valentino, weil der hat’s einfach drauf!« Aber der gute Valentino ist nun bereits in Rente. Wahrscheinlich konnte er nicht länger auf meine Hochzeit warten.
Meine Oma habe ich bewundert dafür, dass man sie immer noch so leicht zum Lachen bringen konnte, obwohl sie so viel Schlimmes erlebt hatte: Zwei ihrer Kinder starben ganz jung, die kleine Elisabeth fiel im Alter von zwei Jahren in den Brunnen hinter dem Haus und ertrank, und ihr Seppi erstickte im Alter von zehn Jahren in einer Sandhöhle, die er sich mit seinem Bruder und den Nachbarskindern gebaut hatte. Mein Bruder, der auch Seppi heißt, erinnerte sie oft an ihren eigenen Sohn, und dann fing sie oft von einem Moment zum anderen zu weinen an. Und wenn ich sie dann fragte, warum sie weine, dann erzählte sie, wie man ihr den toten Sohn, als man ihn schließlich im Wald gefunden hatte, in den Flur legte. In der Hand hatte er noch das Butterbrot, das sie ihm ein paar Stunden zuvor gemacht hatte. Die Erinnerung war auch im hohen Alter noch so präsent, dass sie ständig vor sich hinmurmelte: »Sand, alles war voller Sand … da Mund, alles voll Sand … und in der Hand hat er noch s’Butterbrot ghabt!«
Nach ein paar weiteren Jahren wurde ihr Mann Anton – gezeichnet durch die viele harte Arbeit und mangelnde Ernährung in Jugendjahren – schwer lungenkrank. Er wurde in mehreren Kliniken behandelt und schließlich zum Sterben heimgeschickt. Als die Männer des Dorfes den Sarg schulterten, um ihn traditionsgemäß zum Aufbahren in die Kirche zu tragen, tropfte Wasser aus dem Sarg: Durch die vielen Medikamente war der Körper des Toten so aufgeschwemmt, dass erst nach dem Tod das Wasser abging und die Jacken der Sargträger durchnässte. Alle Männer mussten ihre Anzüge danach wegschmeißen, weil der Geruch des Leichenwassers durch kein Waschmittel der Welt mehr herauszubekommen war.
Die Nachkriegsjahre ohne Mann mussten für meine Oma genauso schwer gewesen sein wie die Kriegsjahre: Es gab immer Mäuler zu stopfen, denn fast täglich kamen sogenannte »Hamsterer« aus München auf den Hof, um meine Oma um ein (!) Ei, einen Löffel Butter oder Schmalz oder ein paar Kartoffeln anzubetteln.
Als die Amerikaner einmarschierten, stand die ukrainische Bäuerin mit ihren wenigen Habseligkeiten vor der Haustür des Bauernhauses und sagte hämisch zu ihr: »Bäuerin, du heute Stall schlafen, ich heute deine Bett schlafen.«
Meine Oma konnte sich mithilfe von Melitta mühsam gegenüber den Amis verständlich machen, dass sie weder ein Nazi noch eine »Leutschinderin« war, sondern nur ihre Arbeit auf dem Hof gemacht hatte und immer gut zu ihren Leuten gewesen war. Die Amis glaubten ihr schließlich und ließen sie mit ihren Kindern im Haus wohnen, quartierten sich aber für ein paar Tage auf dem Hof ein. Da 1945 ein sehr kalter Mai war, wärmten die GI s ihre Stiefel direkt im Backofen, worauf einige der Stiefel zu schmelzen begannen. Sie lagen vollständig angezogen im Ehebett von meiner Oma und probierten den Inhalt aller Marmeladen- und Einweckgläser mit den Fingern. Was ihnen nicht schmeckte, spuckten sie einfach auf den Boden. Die Oma sagte immer: »Sie waren zwar Saubär’n, aber sonst sehr nett!« Und vor allen Dingen großzügig zu den Kindern, an die sie »Hershey’s«-Schokolade und Kaugummis verteilten.
Erst mit Mitte fünfzig beschloss meine Oma, den Führerschein zu machen, kaufte sich einen BMW , und gerade, als sie es sich endlich etwas schöner hätte machen können, da bekam sie einen Schlaganfall und war von da an halbseitig gelähmt. Mithilfe ihrer Familie und vieler Reha-Stunden lernte sie wieder zu gehen, aber ihre rechte Hand blieb steif, und sie konnte sich weder frisieren noch sich selber ein Butterbrot schmieren.
Ein paar Jahre vor ihrem Tod erzählte meine entsetzte Mutter
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