Man muss das Kind im Dorf lassen: Meine furchtbar schöne Jugend auf dem Land (German Edition)
genannt) zu kommen, hatten sich die Burschen einen uralten, weinroten Ford Taunus gekauft, genannt die »Lous« (bayerisch für Muttersau) – für den stolzen Preis von 250 , – Mark.
In mühevollster Kleinarbeit begannen sie nun, das schrottreife Gefährt in unserer Garage auf Vordermann zu bringen: Da wurden Teile ausgebaut, gesäubert, ausgetauscht, bis schließlich eine kleine Kiste mit Schrauben, Ventilen und Schläuchen übrig blieb. Auf meine Frage, ob sie denn das ganze Zeug nicht auch noch einbauen müssten, sagte mein Bruder nur in seiner typischen, kurz angebundenen Art: »Die baun einfach zu viel nei in die Karren.« Aha. Dann hätt’ ma das auch geklärt.
Als »d’Lous« endlich für die erste gescheite Probefahrt gerüstet war, war sie kaum noch wiederzuerkennen: Sowohl Fahrer- als auch Beifahrerseite waren mit gelb-orangenen Feuerzungen verziert, und auf der Kühlerhaube stand in fetten Lettern für alle Welt gut sichtbar zu lesen: Motherfucker.
Eines Tages musste ich zum Zahnarzt, aber auf dem ganzen Hof war kein Auto zu finden – nur die »Lous« stand in der Garage. Und weil ich den Termin nicht versäumen wollte, schnappte ich mir die Schlüssel und stieg ein. Es dauerte fast fünf Minuten, bis ich den Rückwärtsgang drinhatte, und das Ding ließ sich schwerer lenken als ein fünfzig Jahre alter Bulldog. Ich wusste von meinem Bruder, dass man nicht schneller als maximal 40 km/h damit fahren durfte, weil es wahrscheinlich sonst die Fahrbahn verlassen hätte: Das gute Stück schaukelte hin und her, und schon bei 30 km/h kam es so ins Schlingern, dass man das Gefühl hatte, man würde jeden Moment die Kontrolle verlieren. Da saß ich also in einem weinroten Ford Taunus mit Feuerzungen an den Seiten und »Motherfucker« auf der Kühlerhaube. Auf dem Beifahrersitz lag so viel Müll, dass ich meine Tasche auf dem Rücksitz platzieren musste. Überall lagen stapelweise Auto, Motor & Sport , Penthouse und Kicker . Darunter, darüber und dazwischen Zigarettenschachteln, Bifi-Tüten, Cola- und Red-Bull-Dosen und leere Jack-Daniels-Flaschen. Die Lastwagenfahrer, die mich erst anhupten und dann überholten, grinsten schließlich und zwinkerten verschwörerisch in mein Cockpit, so als ob sie sagen wollten: »Heißer Schlitten, Oide! Und wer isn überhaupts dein Innendekorateur?« Ich hätte mich gern geschämt, hatte aber leider keine Zeit, denn ich war viel zu sehr damit beschäftigt, den heißen Schlitten davon abzuhalten, aufs Bankett zu schlittern und mich noch vor dem Zahnarzt mit Schmerzen zu beglücken.
Der anschließende Zahnarztbesuch war harmlos im Vergleich mit der Heimfahrt, für die ich auch noch Licht benötigte, aber natürlich war ein Scheinwerfer kaputt. Als ich das meinem Bruder am Abend erzählte, meinte er nur trocken: »Oana langt leicht.«
Zwischen meinem Bruder und seinen Spezln war eigentlich ausgemacht, dass derjenige, der abends mit der Lous die anderen chauffierte, immer nüchtern bleiben sollte, aber eines Abends hatte mein Bruder zwar Fahrdienst, aber offensichtlich nicht nur das Auto vollgetankt, sondern auch sich selber. Zumindest ein bisschen. Vielleicht lag es auch am natürlichen Seegang des Schlittens, auf jeden Fall parkte er ihn recht unvorschriftsmäßig im Straßengraben. Ich glaube, er hatte sich sogar noch überschlagen, denn Genaueres konnte man aus meinem Bruder nicht herausbringen, denn im Gegensatz zu mir redete er nicht gern. Zumindest nicht daheim. Glücklicherweise waren sie nur zu zweit im Auto gewesen, und beide hatten nicht einmal einen Kratzer abbekommen, was man von der Lous nicht sagen konnte. Mein Bruder wollte sie zwar wieder herrichten, aber mein Vater bestand darauf, dass sie das gute Stück verschrotten ließen. Das kostete sie zwar mehr als der eigentliche Kaufpreis, aber ich denke, das Geld war gut angelegt, wenn man bedenkt, dass somit fünf Leben gerettet wurden.
Zu der Zeit hatte mein Bruder Sepp auch die Angewohnheit, sich ständig Klamotten von meinem kleinen Bruder Chris und mir auszuborgen, selbstverständlich, ohne zu fragen. Chris war zwar kein Modefan wie ich, aber er achtete auf seine Sachen, während es Sepp vollkommen egal war, was er trug und von wem das Zeug stammte. Am Freitag- und Samstagabend ließen Chris und ich ihn schon fast nicht mehr aus den Augen, vor lauter Angst, er könnte sich wieder eine Jeansweste, ein Baseball-Cap oder ein Palästinensertuch von uns krallen. Aber irgendwie schaffte er es immer wieder, sich
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